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Asyl in Belp Kirchenasyl in Belp: «Ein Ja aus Nächstenliebe»

Eine Kleinfamilie aus Eritrea wendet sich in Not an die Kirche. Pfarrer Michel Wuillemin über sein «Weihnachtswunder».

SRF: Wie ist es zum Kirchenasyl in Belp gekommen?

Pfarrer Michel Wuillemin: Die Eritreerin Freweyni Beyene und ihr achtjähriger Sohn Nimerod standen eines Tages in grosser Not und Verzweiflung vor unserer Pfarrhaustüre. Es war wie in der Weihnachtgeschichte. Wir mussten Ja oder Nein sagen.

Ein Nein nach dem Motto «wir haben keinen Platz in der Herberge», wäre für uns als Kirche schwierig gewesen. Wir hätten unsere Botschaft verraten. Es war ein Ja aus Nächstenliebe.

War das Kirchenasyl ein spontaner Entscheid?

Nein. Es gab eine Sitzung mit Protokoll. Es wurden die Argumente dafür und dagegen abgewogen. Wichtig war in dieser ersten Phase die Frage, ob wir die Betreuung sicherstellen können.

Eine Freiwillige hat sich sofort gemeldet. Sie hat lange ein Flüchtlingsheim geleitet. Wir sind als Kirchgemeinde seit über 30 Jahren in der Flüchtlingsarbeit engagiert und haben Angestellte und viel Erfahrung in diesem Bereich. Trotzdem war es ein Abenteuer mit ungewissem Ausgang.

Es war ein Weihnachtswunder. Eigentlich waren alle rechtlichen Möglichkeiten im Dublin-Verfahren ausgeschöpft.

Wie lange hat das Kirchenasyl gedauert?

Vom 10. Oktober 2016 bis 15. November 2016. Dann kam der Brief vom Staatssekretariat für Migration mit dem Bescheid, dass die Familie in der Schweiz ein Asylgesuch stellen darf.

Kirchenasyl

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Kirchenasyl wird Asylsuchenden in Notsituationen von einer Kirchgemeinde oder einer Pfarrei gewährt. Mit der befristeten Aufnahme soll eine Abschiebung verhindert werden. Die Behörden werden im Normalfall über das Kirchenasyl informiert. Das Kirchenasyl ist in der Schweiz im Gegensatz zu Deutschland wenig verbreitet.

Wie haben Sie auf diese Nachricht reagiert?

Wir haben geweint.

Eine Erlösung?

Es war ein Weihnachtswunder. Eigentlich waren alle rechtlichen Möglichkeiten im Dublin-Verfahren ausgeschöpft. Die Familie stand vor der Ausschaffung nach Italien. Dort waren sie ursprünglich registriert worden. Wir waren verzweifelt. Der Druck war immens.

Wie haben die Betroffenen reagiert?

Gleich wie wir. Die Mutter konnte es erst gar nicht fassen. Dann kam die grosse Freude.

Die Aufnahme gilt aber nur vorläufig.

Die Situation ist für die beiden so dramatisch, dass wir auf einen positiven Ausgang des Asylverfahrens hoffen. Das Gesuch wird jetzt eingehend geprüft, die Familie erhält eine faire Chance und es droht keine sofortige Rückschaffung. Das gibt Zeit und Ruhe.

Freweyni Beyene und ihr Sohn Nimerod hatten Eritrea im Oktober 2014 auf der Suche nach dem Vater des Buben verlassen. In Libyen waren sie vom «Islamischen Staat» gefangen genommen und gefoltert worden. Beide sind traumatisiert. Die Frau ist auf eine psychiatrische Behandlung angewiesen und der Junge muss in die Schule.

Das Pfarrhaus war für die Familie ein Ort der Sicherheit und Geborgenheit.

Wie haben Sie den Kontakt erlebt?

Unglaublich schön und bereichernd nebst den Sorgen, die wir uns täglich machen mussten. Den traurigen Blick der Mutter, ihre Augen werde ich nie vergessen. Ihr Zustand war wirklich schlimm.

Das Pfarrhaus war für die Familie ein Ort der Sicherheit und Geborgenheit. Der Junge war ein Sonnenschein in unserem Berufsalltag. Im Pfarrhaus arbeiten viele Menschen. Wir sind eine erweiterte Familie geworden.

Ist das Kirchenasyl ein rechtsfreier Raum?

Nein, das ist ein Missverständnis. Wir haben die Familie nicht dem Zugriff der Behörden entzogen. Wir haben sie in unsere Obhut genommen. Die Behörden wussten jederzeit, wo die Kleinfamilie ist.

Wenn wir den Staat an seine Verpflichtung erinnern, für die Schwachen und Schutzlosen da zu sein, begeben wir uns nicht in einen rechtsfreien Raum. Das Recht ist für die Menschen da und nicht umgekehrt.

Warum hat die Kirchgemeinde gerade in diesem Fall geholfen?

Wir sind dieser Familie ganz konkret begegnet. Sie stand vor unserer Türe. Es war die gleiche Situation, wie sie der barmherzige Samariter im Neuen Testament erlebt hat. Er hilft dem Verletzten, den er antrifft.

In der jüdischen Tradition gibt es den Ausspruch: Wenn Du eine Menschenseele rettest, rettest du die ganze Welt. Es ist eine Ermutigung für alle Menschen, sich da zu engagieren, wo man Einfluss nehmen kann. Im Privaten bis hin zur Politik.

Das Gespräch führte Norbert Bischofberger.

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