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Gesellschaft & Religion Kirchendebatte: Das Kreuz mit der Homosexualität

Für die einen ist sie eine Todsünde und gehört ausgetrieben, andere wiederum haben schwule und lesbische Paare längst integriert: Die Kirchen gehen weltweit sehr unterschiedlich mit Homosexualität um. Das Thema ist zu einer Zerreissprobe in der Ökumene geworden.

Sexualität ist in vielen Kirchen traditionell ein heikles Thema, besonders heikel sind Homo-, Bi- oder Transsexualität. Das hat nur zum Teil mit den wenigen Bibelstellen zum Thema zu tun, die homosexuelle Praktiken als «Unzucht» verurteilen. Andere Bibelverse werden in den Kirchen lange nicht so ernst genommen wie etwa der aus Levitikus 20: «Wenn jemand mit einem Mann schläft, wie man mit einer Frau schläft, so haben beide einen Gräuel verübt».

Zwischen Toleranz und «gesund beten»

Biblisch argumentieren vor allem die protestantischen Kirchen. Sie diskutieren, wie die Bibel heute überhaupt gelesen, verstanden und im Alltag praktiziert werden soll. In den Schweizerischen reformierten Kantonalkirchen etwa sind homosexuelle Paare sogar im Pfarrhaus willkommen, während es daneben auch biblizistische Freikirchen gibt, die Homosexuelle «gesund beten» wollen.

Auch in der katholischen Kirche ist das Spektrum an Haltungen im Umgang mit Homosexualität gross: Die Christ-Katholiken nehmen homosexuelle Menschen liebevoll auf und stossen sich auch nicht an einem schwulen Priester. Die römisch-katholische Kirche ist hierzulande – im Gegensatz etwa zu Frankreich oder Südamerika – recht offen. Der Schweizerische Katholische Frauenbund kämpft sogar offensiv für die vollständige Integration und Gleichstellung homosexueller Menschen in ihrer Kirche.

Indiz für Moderne

Dem Vatikan geht das zwar zu weit, aber: Homosexuell zu sein sei keine Sünde, keine Krankheit – lediglich der homosexuelle Vollzug sei sündhaft. Wie eine Kirche mit Homosexuellen umgeht und welchen Stellenwert sie dem Thema überhaupt einräumt, das hat also nicht unbedingt nur mit der Konfession zu tun, sondern auch damit, wie «modern» sich eine lokale Kirche insgesamt versteht. 

Traditionelle Homophobie der Ostkirchen

In den orthodoxen Kirchen ist die Homophobie durchgehend ausgeprägt. Das hat nur wenig mit den erwähnten Bibelstellen zu tun: Die orthodoxen Kirchen verstehen sich als Wahrer der altkirchlichen Tradition. Die Lehre der Kirchenväter aus dem 4. bis 6. Jahrhundert ist für sie bis heute massgeblich. Oft verschliessen sie sich auch anderen modernen Ideen wie der Frauenemanzipation oder der historisch kritischen Bibelexegese, welche Bibelstellen aus ihrem Entstehungskontext heraus zu verstehen sucht.

Die orthodoxen Kirchen sind meist eigenständige Nationalkirchen. Nach dem Zusammenbruch der UDSSR sind die einzelnen Nationalkirchen nach langer Unterdrückung nun wieder staatstragend. So erklärt sich auch der Schulterschluss von Nationalisten und orthodoxen Priestern in Russland, Georgien oder Bulgarien.

Audio
Vom schwierigen Umgang vieler Kirchen mit Homosexualität
aus Perspektiven vom 02.06.2013. Bild: Keystone
abspielen. Laufzeit 27 Minuten 15 Sekunden.

Nationalistische Argumente in Russland

Besonders heftig wird in Russland gegen Homosexuelle agitiert, mit einer Mischung aus nationalistischen und moralischen Argumenten: Die Homosexualität sei westliche Dekadenz, sie zerstöre das Russentum oder sei «unrussisch».

Momentan lanciert die russische Regierung ein Gesetz gegen «Homosexuellen-Propaganda», das die Menschen- und Bürgerrechte weiter einschränken wird. Die russisch-orthodoxe Kirche äussert sich klar für dieses Gesetz.

Die Ökumene tut sich schwer mit der Homosexualität

Diesen Herbst wird in Busan (Südkorea) die Vollversammlung des Ökumenischen Rats der Kirchen stattfinden. Rund 345 Kirchen verschiedenster Konfessionen nehmen jeweils alle sieben Jahre daran teil. Das Thema Sexualität oder gar Homosexualität wird dort nur am Rande verhandelt werden. Afrikanische und orthodoxe Kirchen lehnen ein Gespräch darüber weitgehend ab: Das Thema Homosexualität sprengt den ökumenischen Dialog.

Unter Verfolgung leiden homosexuelle Menschen in Afrika, wo es in 30 Staaten homophobe Gesetze und alltäglich Gewaltakte an Schwulen und Lesben gibt. Für einige scheint sich an dieser Frage gar Christ- oder Nicht-Christsein zu entscheiden. In ihrer anti-homosexuellen Radikalität unterscheidet sich etwa die nigerianische anglikanische Kirche kaum von den Islamisten in ihrem Land: Dort droht Schwulen und Lesben jetzt 14 Jahre Haft für einen öffentlichen Kuss.

Postkoloniale Konflikte in Afrika

Der südafrikanische Bischof und Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu ist einer der ganz wenigen Kirchenvertreter Afrikas, die öffentlich für die Menschenwürde Homosexueller eintreten. Ähnlich wie in den Ostkirchen führen Ideologen hier Schwulsein auf den verderblichen Einfluss des Westens zurück.

Dass an diesem Thema auch postkoloniale Konflikte ausgetragen werden, zeigt das Beispiel der anglikanischen Weltkirche. Sie hat Landeskirchen in den USA, England, Australien und Afrika und droht seit längerem schon genau an dieser Frage zu zerbrechen: Während in den USA ein offen schwuler Priester Bischof werden kann, geisselt sein nigerianischer Amtskollege Homosexualität als Teufelswerk. Auch hier stehen politische Interessen im Hintergrund: die Loslösung von der als kolonialistisch erlebten Mutterkirche in England.

Es scheint eher unwahrscheinlich, dass die grösste, internationale Kirchenversammlung in Busan zumindest die Gewalt an Homosexuellen verurteilen wird. Dies bleibt aber die drängende Hoffnung von Menschenrechtlern und aufgeklärten Christenmenschen.

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