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Das Klischee der lauten Tessiner
Aus Kultur Extras vom 18.07.2013.
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Landesteile Vorurteile Die überfröhlichen Tessiner

Alles nur Show, sie sind laut und überschätzen sich. Trotzdem verfallen wir immer wieder ihrem Charme: Wir distanzieren uns von den Tessinern und wollen doch eine Ferienwohnung neben ihrer Haustür. Dass sie aber am liebsten Dauerurlaub im Hotel Mama machen, das kommt uns einfach nur komisch vor.

Mit ihrem sexy Charme und einem entwaffnenden Lächeln bittet sie den Gast zu sich: «Kommen sie doch gleich hier neben mir» - und das in einer grossen Showsendung. Unvergleichlich, dieser schalkhafte – wenn auch etwas unfreiwillige - Charme von Christa Rigozzi, der Tessiner Ex-Miss-Schweiz.

Eine Beziehung zwischen Faszination und Verärgerung

Ja, so sind sie, die Tessiner Frohnaturen: lebenslustig, herzlich und gefühlsbetont, immer offen für Genüsse, Spässe und das dolce far niente. Sole, vino e amore! Besonders die südschweizerische Übermutter Nella Martinetti hat dieses Bild des heiteren Tessiner Menschenschlags geprägt. Die Tessiner faszinieren - und sie nerven uns. Alles nur Show, sagt der Skeptiker, diese Tessiner übertreiben doch aus Prinzip: Sie sind zu laut und überschätzen sich masslos. Und sie neigen zum Egoismus. Wenn sie nicht gerade feiern oder faulenzen, dann jammern sie über ihre Benachteiligung und fordern eine Sonderbehandlung. Richtige Schlaumeier halt: vordergründig freundlich, wenn wir bei ihnen in den Ferien sind, aber hinten rum lästern sie dann über uns, die «züchín» - oder etwa nicht?

In der Pufferzone zwischen italienischer und deutscher Kultur

Was sagt die Statistik? Die Tessiner essen von allen Schweizern am meisten. Dabei gelten sie nicht gerade als knauserig. Schon gar nicht, wenn es um das Weintrinken geht: Da halten sie den Schweizer Rekord. Aber vielleicht betrinken sie sich ja nur, um die vielen Deutschschweizer zu vergessen, die ihren Kanton überschwemmen - als Feriengäste, Ferienhausbesitzer und Frühpensionierte. Fakt ist: ¼ aller Wohnungen im Tessin sind Ferienwohnungen. Vielleicht ist die Wohnungsknappheit mit ein Grund dafür, weshalb sich die Tessiner am längsten im Hotel Mama aushalten lassen. Es gibt denn auch kaum Single-Haushalte südlich des Gotthards. Tessiner Familiensinn, könnte man meinen, doch seltsamerweise liegt die Scheidungsrate dort deutlich höher als bei uns.

Die Rückseite der Geselligkeit

Kommunikationsfreude ist typisch für die Tessiner, meint man, doch in Wahrheit telefonieren sie am wenigsten und bilden auch bei den Internetanschlüssen das Schlusslicht. Ihnen geht’s wohl mehr um das gesellige Beisammensein. Und dafür scheuen sie weder Kosten noch Risiken: Die Tessiner verbrauchen am meisten Benzin pro Kopf. Kein Wunder, ist die Unfallrate 50% höher als bei uns. Und auch im Staustehen halten sie den Schweizer Rekord: jeder fünfte steht täglich in der «colonna». Zu dieser Autovernarrtheit passt, dass die Südschweizer am wenigsten ÖV-Abos lösen, gerade mal halb so viele wie wir Deutschschweizer.

Die Crux mit der Selbstüberschätzung

In Sachen Lebensfreude aber, da macht ihnen niemand etwas vor: Das Tessin hat die tiefste Selbstmordrate in der Schweiz. Seltsam nur, dass es hier trotzdem die meisten Depressiven gibt und den grössten Verbrauch an Schlafmitteln. Aber vielleicht – sie ahnen es - liegt auch das nur an den vielen Deutschschweizern im Tessin.
Die Ticinesi schauen am häufigsten TV von allen Schweizern, Sport besonders. Trotzdem glauben sie, die aktivsten Liebhaber der Schweiz zu sein: Sie treiben es gleich fünf Mal häufiger als der Rest der Schweiz, meinen sie. Dabei sind sie mit nur 6,7 Mal Sex pro Monat in Wahrheit die grössten Sexmuffel im ganzen Land.
Tja, cari amici, schön für euch, dass wir uns das Klischee vom Latin-Lover trotzdem noch so gutgläubig andrehen lassen – oder etwa doch nicht?

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