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Lust und Last des Alters Abschiedskultur: Für ein menschenwürdiges Sterben im Altersheim

Tod in Institutionen: Da bestimmen meist Bilder von einsam sterbenden Greisen im Heim unsere Vorstellungen. Dabei gibt es längst Herangehensweisen, die menschenwürdiger sind – die Abschiedskultur. Diese braucht es nicht nur für die, die für immer gehen.

Symbolischer geht es kaum. Erika Schärer-Santschi arbeitet im ehemaligen Thuner Waisenhaus. Im Arbeitsraum brennt eine Kerze, auf dem Tisch steht «Botanic Water». «Belebend» steht drauf. Seit mehr als 20 Jahren beschäftigt sich die ehemalige Pflegefachfrau und Berufsschullehrerin Erika Schärer-Santschi mit Sterben, Tod, Abschied und Trauer. Das sind Themen, die andere meiden wie der Teufel das Weihwasser.

Was fasziniert Sie so an Tod, Verlust und Trauer?

Erika Schärer-Santschi: Diese Themen lösen Fragen aus. Fragen, die ans Lebendige gehen. Bei Sterben, Tod und Abschied ist man im Grenzland. Ich bin neugierig und will wissen: Was ist hinter dem Zaun? Wo steckt der Sinn bei all dieser Vergänglichkeit? 80 Jahre Leben – und dann? Schluss, aus, fertig und Adieu? Die Pflegefachpersonen haben ein grosses Privileg, weil sie ganz alltäglich nah dran sind an den wesentlichen Fragen. Andere brauchen dafür Schicksalsschläge.

Zur Person

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Die ehemalige Pflegefachfrau und Berufsschullehrerin Erika Schärer-Santschi begleitet in ihrer Praxis Menschen in schwierigen und belastenden Lebenssituationen. Zudem ist sie als freiberufliche Dozentin und Beraterin tätig. Sie hat das Buch «Trauern. Trauernde Menschen in Palliative Care und Pflege begleiten» (Hans Huber, 2012) herausgegeben.

Was heisst für Sie Abschiedskultur im Alters- und Pflegeheim?

Abschiedskultur muss es möglich machen, dass die Themen in Ruhe und Freiheit angesprochen werden können. Sie sollen nie zum Standardgespräch innerhalb eines Qualitätssicherungskonzeptes der Palliative Care verkommen. Wichtig ist die Grundhaltung: Die Pflegefachleute müssen signalisieren, dass sie Ansprechpartner sind für die letzten grossen Dinge.

Abschiedskultur im Heim betrifft nicht nur die sterbenden Menschen. Was ist mit dem Mitbewohner, der seinen Jasskumpanen verloren hat?

Was für eine Herausforderung! Das bedeutet ja für den Mitbewohner wahrscheinlich: Nun ist mein Ende auch näher gerückt. Ich finde es wichtig, dass die Mitbewohner die Möglichkeit haben, dem Ausdruck zu geben. Die Möglichkeit zu haben heisst aber nie, dazu verpflichtet zu sein.

Schön und gut, mag da der eine oder andere Pflegeprofi sagen. Aber wo bleibt die Zeit dafür im durchökonomisierten Betrieb?

Ja, das ist ein Problem. Es zeigt, dass Abschiedskultur nicht eine Sache des einzelnen Mitarbeiters ist. Abschiedskultur verlangt nach entsprechenden Organisationsstrukturen.

Im Altersheim Reichenbach im Berner Oberland gibt es das zum Beispiel. Hier findet ein Umgang mit Zeit und Leistung statt. Diesen Paradigmawechsel beobachte ich vielerorts. Aber es wird dadurch nicht einfacher ...

… weil ja auch die Angehörigen noch eine Rolle spielen. Was heisst Abschiedskultur für Ehepartner, Söhne und Töchter?

Das Wichtigste ist auch da, dass Angehörige von Anfang an spüren, dass sein darf, was ist. Wut, Trauer, Ungeduld und Angst. Alles gehört dazu. Nicht erst, wenn es ums Sterben geht. Schon lange vorher sollen sie die Möglichkeit haben, mitzureden, mitzugestalten, so zu sein, wie sie sind. Selbst, wenn es nicht den Idealen der Pflegenden entspricht. In Reichenbach gibt es etwa ein Pflegeprofi, der nur für die Belange der Angehörigen zuständig ist. Und: Die Angehörigen sind auch nach dem Tod ihres Verstorbenen unter dessen letztem Dach herzlich willkommen. Schliesslich sind sie da oft jahrelang ein- und ausgegangen.

Was ist Ihnen punkto Abschiedskultur das Wichtigste?

Dass sein darf, was ist. Abschied nehmen ist individuell, deshalb sind Schemen fehl am Platz.

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