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Gesellschaft & Religion Lynchjustiz in den USA – eine unselige Geschichte bis heute

Für den Heidelberger Historiker Manfred Berg ist es kein Zufall, dass in den USA heute mehrheitlich Afroamerikaner Opfer von Waffengewalt werden. Die Rechtsmentalität der US-Amerikaner – dies zeigt sein neustes Buch auf – ist eng verknüpft mit einer jahrhundertelang praktizierten Lynchjustiz.

Was muss noch alles passieren bis in den USA der Waffenbesitz eingeschränkt wird? Eine Frage, die sich dieser Tage stellt. Anfang August wurde erneut ein afroamerikanischer Teenager, der selbst unbewaffnet war, aus angeblicher Notwehr erschossen. Warum hängen die US-Amerikaner das Recht auf Selbstverteidigung so hoch?

Der Wilde Westen wirkt bis in die Gegenwart

Das hat mit der Geschichte des Landes und der Rechtsgeschichte zu tun. Der Heidelberger Historiker Manfred Berg hat soeben ein Buch über die Geschichte der Lynchjustiz in den USA veröffentlicht. Vorurteilslos und analytisch geht er darin den Legitimationsdiskursen für Waffenbesitz und Selbstwehr auf den Grund. Sie führen mitten in die rassistische Vergangenheit der USA, die bis heute nachwirkt.

Buchhinweis

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Manfred Berg: «Lynchjustiz in den USA.» Hamburger Edition, 2014.

Der Wilde Westen war sprichwörtlich: Da sass der Colt locker, da war kein Sheriff weit und breit und auch kein Richter. Die Menschen mussten sich selbst helfen, um Recht und Gerechtigkeit herzustellen. Diese Haltung, den Strafvollzug in die eigene Hand zu nehmen, beziehungsweise zu dürfen, schwinge in der Mentalität der US-Amerikaner bis heute mit, so Manfred Berg.

Kollektive Selbstjustiz und Scheinprozesse

Dabei entlarvt der Heidelberger Historiker Manfred Berg aber auch die so genannte «Frontier-These» als Konstrukt, um eigenmächtiges Verhalten vorbei am Gewaltmonopol des Staates zu rechtfertigen. Die «Frontier-These» betont, dass es in der Geschichte der Ausbreitung der USA an den Grenzen (Frontiers) und Rändern rechtsfreie Räume gab, die zur Selbstjustiz zwangen. Berg zeigt in seinem Buch jedoch auf, dass die USA zu den Hoch-Zeiten der Lynchmorde längst gefestigte Institutionen hatten: Es gab Gerichte und Gefängnisse.

Der Mob widersetzte sich jedoch der Staatsgewalt und holte Delinquenten aus den Gefängnissen heraus, um sie zu lynchen. Dies geschah teilweise als öffentliches Spektakel mit Scheinprozessen, was den «Lynchmorden» einen legitimen Anstrich verpassen sollte. Freilich handelte es sich dabei aber um «kollektive Selbstjustiz».

Rassistische Beweggründe – bis heute

Video
Das Rassenproblem der US-Justiz: Das Beispiel Ferguson
Aus Tagesschau vom 22.08.2014.
abspielen. Laufzeit 2 Minuten 32 Sekunden.

Die Lynchjustiz wurde also erst richtig gross, als der Westen schon gar nicht mehr so wild war. Als es schon staatliche Institutionen gab, die für Recht und Ordnung hätten sorgen sollen. Höhepunkte erreichten die Lynchmorde im Süden des Landes nach dem Bürgerkrieg, als die Sklaverei allmählich abgeschafft wurde. Die weisse Oberschicht wollte ihre Macht mit Gewalt aufrechterhalten und die schwarze Bevölkerung einschüchtern. Lynchen wurde zur Methode, sich gegen konkurrierende Ethnien zur Wehr zu setzen.

Die überwältigende Mehrheit der Lynchopfer waren schwarze Männer. Die Lynchjustiz betraf in der Folge auch Tausende von Mexikanern und auch einige Chinesen, die als Billiglohnkräfte auf den Arbeitsmarkt drängten. Hierzu gibt es eine Menge neuer Studien, die Bergs Thesen stützen.

Opfer der Todesstrafe sind mehrheitlich schwarze Männer

Erst im Jahre 2005 verurteilte der US-Senat die Geschichte des Lynchens als rassistisches Verbrechen und entschuldigte sich im Namen des Staates bei den Opfern der Lynchjustiz und ihren Nachfahren. Was den Rassismus betrifft, zieht sich die Linie weiter bis in die Gegenwart. Bis heute werden mehrheitlich afroamerikanische Männer Opfer der Todesstrafe und Opfer von Schusswaffen.

Heute gibt es in den USA zwar kein Lynchen mehr, aber eben Kontinuitäten: Der Rassismus gehört ebenso dazu wie die Meinung, dass es recht sei, mit der Waffe in der Hand auf die Strasse zu gehen.

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