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Was Kleidung (nicht) über Religion und Gender erzählt
Aus Perspektiven vom 17.07.2021. Bild: SRF / Sébastien Thibault
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Mode und Religion Warum wir der Kleidung nicht alles glauben können

Die Welt ist im Umbruch. Nicht nur, was das Wetter, das Klima, die Pandemien angeht – auch die Gesellschaft entwickelt sich rasant weiter.

Die Theologie-Professorin Elke Pahud de Mortanges und ihr Kollege Gregor Emmenegger beobachten dies auch am Phänomen der Kleidung. Seit einigen Jahren geben sie gemeinsam ein Seminar zu «Gender Aspects in Religious Studies», dieses Jahr mit dem Schwerpunkt Mode.

Zum Gespräch an der Universität Fribourg bringt Elke Pahud de Mortanges ein Mode-Magazin mit. Darin ist eine Werbung der Marke «Valentino», in der ein nackter Mann eine Handtasche hält.

Die Kampagne hatte im Frühling einen Shitstorm ausgelöst, es war etwa in der Neuen Zücher Zeitung zu lesen. Für die Theologin Elke Pahud ist das Bild kein Grund zur Aufregung, sondern ein Beispiel dafür, dass Gender-Grenzen verschwimmen und hinterfragt werden. Vier Beobachtungen.

1. Gender ist keine Erfindung des 21. Jahrhunderts

Eine Position, die Gregor Emmenegger immer wieder begegnet, beschreibt er so: «Früher gab es noch Mann und Frau. Heute wollen die das alles umwursteln».

Geschlechterverhältnisse seien immer wieder im Fluss gewesen. Im platonischen Weltbild beispielsweise konnten Männer und Frauen in einem hierarchischen System aufsteigen. Je weiter oben, umso mehr Hitze hatte jemand, und umso «männlicher» war die Person.

Dieser Weg war auch Frauen offen. Auch in der mittelalterlichen Standesgesellschaft habe es für Frauen Möglichkeiten gegeben, in einer männlichen Rolle zu leben, beispielsweise als Mönch.

Die Festschreibung des grossen Unterschieds zwischen Männern und Frauen sei erst durch die Auflösung der Standesgesellschaft im 18. Jahrhundert erfolgt. Die bürgerliche Zeit begann. «Die grosse These ist», so Elke Pahud, «dass die Gesellschaft vorher viel diverser und fluider lebte als zwischen dem 18. und 20. Jahrhundert.»

2. Ist alles möglich, wünschen wir uns Eindeutigkeit

Theoretisch sei es heute möglich, sich so zu inszenieren, wie man möchte, sofern die Mittel dazu vorhanden sind. Es gibt kaum noch Vorschriften, wer sich wann wie zu kleiden hat. Auch der Platz in der Gesellschaft ist kaum vorgegeben.

«Junge Menschen stellen sich die Frage: Wer kann, wer will ich sein? Sich selbst zu inszenieren, kann anstrengend sein», sagt Elke Pahud de Mortanges. Manche wünschten sich deshalb Schuluniformen zurück. Und auch was die Kleidung von Babys und Kindern angeht, gibt es den Trend zurück zu hellblau und rosa.

3. Mode sendet Signale, die irreführen können

Bis vor einigen Jahrzehnten war ein Kreuz oder eine Madonna ein eindeutiges religiöses Symbol. Inzwischen, so Elke Pahud, haben diese sich von ihrem Ursprung gelöst und werden als ästhetische Elemente in der Mode genutzt.

Selbst wer ein Herz Jesu trägt, muss kein frommer Katholik sein. «Diese Symbole gehören keiner Religion oder Gruppe», sagt Elke Pahud de Mortanges. «Ihr Sinn ergibt sich durch ihre Träger, die die Symbole neu inszenieren.»

4. Man muss die Grammatik der Kleidung kennen

Auch heute gibt es noch eindeutige Kleidung. Berufskleidung, religiöse Kleidung. Doch nur wer eingeweiht ist, kann sie verstehen. Als Beispiel nennt Elke Pahud die Priester-Soutane mit ihren 33 Knöpfen oder den jüdischen Gebetsmantel mit 613 Fäden.

Jeder Knopf der Soutane stehe für ein Lebensjahr Jesu. Und die Fäden symbolisierten jeweils ein göttliches Gebot. «Wenn ich das weiss, dann hat das eine grosse Poesie», findet die Theologin. Doch die Sprache solcher Kleidung werde kaum noch verstanden. «Das ist ein grosser Verlust für uns.»

Radio SRF 2 Kultur, Perspektiven, 18.7.2021, 8:30 Uhr

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