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Gesellschaft & Religion Natürlich oder künstlich? Ansichtssache!

Heimelig flackern die Kerzen an den Weihnachtsbäumen in den Schaufenstern der Geschäfte. Das Flackern ist nur ein technischer Trick. Wir fühlen uns ein bisschen betrogen. Warum ist natürlich besser als künstlich? Diesen Fragen geht ein Buch der Schweizer Akademie der Naturwissenschaften nach.

Dass sich gerade die Akadamie der Naturwissenschaften dem Thema Natürlichkeit und Künstlichkeit annimmt, hat etwas sehr natürliches: Trägt sie doch die Natur im Namen – aber gerade die Naturwissenschaften gelten vielen als Inbegriff des Anti-natürlichen, des Technischen.

Wer nun aber von einer gelehrten Institution wie der Akademie eine systematische Abhandlung über diese Frage erwartet, wird überrascht: Sie nähert sich dem Thema stattdessen mittels vier Gesprächen an, die jeweils zwei Menschen unterschiedlicher Berufe zusammenbringen. Zum Beispiel diskutiert der bekannte Architekt Peter Zumthor mit dem langjährigen Chef der Umweltschutzorganisation WWF, Claude Martin.

Buchhinweis

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Akademie der Naturwissenschaften Schweiz (Hrsg.): «Kehrseiten – Gespräche über Natürliches und Künstliches.» Vdf Hochschulverlag, 2013.

Das Buch ist auch in einer kostenlosen elektronischen Version erhältlich.

Eine moralisch-ethische Entscheidung

In allen vier Gesprächen wird deutlich, dass die Unterscheidung zwischen natürlich und künstlich für die meisten Menschen eine moralisch-ethische ist. Natürlich ist authentisch, ursprünglich, gut. Künstlich hingegen ist gekünstelt, unecht, manchmal fast Betrug.

Besonders deutlich wird dies in der Unterhaltung zwischen der Spitzenköchin Anne-Sophie Pic und der Lebensmittelchemikerin Christine Hunziker. Zwar wissen wir alle, dass vielen Lebensmitteln Aromen und andere Hilfsstoffe beigefügt werden, aber eigentlich wollen wir alle das Naturbelassene – wenigstens solange es keine Flecken oder Beulen hat.

Vermeintlich Unnatürliches gehört manchmal zur Natur

Die Lebensmittelchemikerin macht aber deutlich, dass die Annahme «natürlich gleich gut und gesund» beim Essen nicht immer stimmt. Manche in jeder Küche gängigen Gewürze zum Beispiel dürfen die Nahrungsmittelhersteller nur sparsam einsetzen, weil sie in grösseren Mengen schädlich sind. Der verpönte Geschmacksverstärker Glutamat aber – denken Sie ans Aromat – kommt in Käse und Bier natürlicherweise vor.

Überraschendes tritt auch im Gespräch zwischen dem Herzchirurgen Thierry Carrel und der Theologin Antoinette Brem zutage. Da gesteht der Chirurg, dass er die dramatische Notoperation und Rettung eines Arztkollegen als widernatürlich empfindet, weil die Natur ja seinen Tod wollte. Und die Theologin widerspricht ihm, weil sie findet, unser Überlebensreflex und -Wille, also letztlich das ganze Unternehmen Spitzenmedizin, sei doch zutiefst natürlich. Solche sehr persönlichen Einsichten gehören zu den stärksten Momenten des Bändchens.

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