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Gesellschaft & Religion «Netanyahu hat allein auf Angst gesetzt»

Es war ein klarer Sieg: Israel wird auch in den nächsten vier Jahren von der rechts-konservativen Regierung unter Netanyahu regiert. Für die jüdische Schriftstellerin Lizzie Doron, die mit ihrem neuen Buch den Friedensprozess zwischen Israel und Palästina unterstützen will, ein herber Schlag.

Am Tag nach den Wahlen in Israel sitzt Lizzie Doron am Frühstückstisch in einem Basler Hotel, rührt gedankenverloren in ihrem Kaffee, den Blick leer nach vorne gerichtet. Es ist ihre fünfte oder sechste Tasse, denn sie hat die vergangene Nacht kein Auge zugemacht. Sie sass in ihrem Hotelzimmer und verfolgte die Wahlen in Israel, den Sieg von Benjamin Netanyahu und seiner Likud-Partei.

Lizzie Doron

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Lizzie Doron, geboren 1953 in Tel Aviv, studierte Linguistik, bevor sie Schriftstellerin wurde. Ihre autobiografischen Romane, in denen sie über ihr Leben als Tochter einer Holocaust-Überlebenden erzählt, haben sie international bekannt gemacht. Ihr erster Roman «Ruhige Zeiten» wurde mit dem Buchman-Preis ausgezeichnet.

«Für alle, die den Wechsel wollten, war es eine bittere Nacht», sagt Doron. «Zuerst das Kopf-an-Kopf-Rennen Zwischen Netanyahu und Herzog – da hatte ich noch Hoffnung. Bis um sechs Uhr morgens war klar: Wir haben verloren. Ich bin sehr traurig – und sehr besorgt.»

Das Buch, das in Israel keiner verlegen will

Die 61-Jährige ist aktuell in der Schweiz auf Lesereise, um ihr neues Buch vorzustellen. In Israel gehören die Bücher von Lizzie Doron zur Pflichtlektüre in der Schule. Dennoch hat sie für ihren neuen Roman «Who the Fuck Is Kafka» in Israel keinen Verleger gefunden.

Das Buch handelt von ihrer Freundschaft zum Palästinenser Nadim, der aus Jerusalem stammt. «Wir haben gemeinsam gehofft, dass wir mit diesem Buchprojekt einen Wandel herbeiführen und den Friedensprozess mitunterstützen können. Aber das Volk will diesen Weg nicht. Nach diesem Wahlergebnis fühle ich mich als Aussenseiterin innerhalb Israels.» Die gescheiterte Verlagssuche sieht sie stellvertretend für die Ermüdung, die im Land herrscht.

«Netanyahu hat allein auf die Angst gesetzt»

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Netanyahus Partei gewinnt
Aus Tagesschau vom 18.03.2015.
abspielen. Laufzeit 3 Minuten 45 Sekunden.

Lizzie Doron ist überzeugt: Benjamin Netanyahus Kontrahent Izchak Herzog hätte einen Wechsel herbeigeführt, einen Aufbruch und sozialen Wandel. Netanyahu habe in all den Jahren keine Antworten auf die sozialen Probleme des Landes geliefert und in seinem Wahlkampf allein auf die Angst gesetzt – und damit gewonnen.

Das sei kein neues Phänomen, sagt Doron: «Die wirklich drängenden Probleme Israels wurden im Wahlkampf von einem anderen Thema verdrängt: Wir sollen vernichtet werden. Das wiederholt sich ständig in der jüdischen Geschichte und prägt die Juden seit Generationen.»

Wie weiter im Friedensprozess?

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«Wir sollen vernichtet werden. Das wiederholt sich ständig in der jüdischen Geschichte.»
aus Kultur kompakt vom 18.03.2015.
abspielen. Laufzeit 45 Sekunden.

Die Terroranschläge in Paris und Kopenhagen und vor allem das Thema Iran hätten diese Angst wieder heraufbeschworen, sagt Doron. «Wir werden bedroht, und wir müssen stark sein. Ich glaube, als die Wähler vor der Wahlurne standen, waren ihre Gedanken beim Iran und der Atombombe.»

Israel ist heute ein tief gespaltenes Land – das spiegelt sich deutlich in diesem Wahlresultat wieder, das ein zersplittertes Parlament hervorgebracht hat. Wie soll es nun weitergehen mit dem Friedensprozess? Lizzie Doron rührt in ihrem Kaffee, in Gedanken an vier weitere Nethanyahu-Jahre.

Auszug aus Israel – eine Option?

Buchhinweis

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Lizzie Doron: «Who the Fuck Is Kafka.» Aus dem Hebräischen von Mirjam Pressler. dtv, 2015.

Weggehen aus Israel? Das sei eine Option, meint sie. Schon seit Jahren fühle sie sich als säkulare Jüdin wohler in der Schweiz und in Deutschland. Israel ist ihr zu konservativ und vor allem zu religiös. Vor einiger Zeit hat sie sich in Berlin eine Wohnung gekauft und nach dem Wahlergebnis denkt sie nun laut über einen Umzug nach, weg aus Israel.

Die Juden seien schon immer auf Wanderschaft gewesen. Nach dem Auszug aus Ägypten seien sie auch 40 Jahre umhergewandert. «Vielleicht gehe ich. Vielleicht gehe ich auch nur seelisch weg. Wir Juden fragen uns immer: ‹Wohin soll ich gehen, um zu überleben?›»

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