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Private Pflege von Angehörigen Neue Modelle für ein altes Problem

Viele Erwerbstätige pflegen neben der Arbeit Angehörige. Was tun, damit sich Job und Betreuung besser vereinbaren lassen? Die Pflegewissenschaftlerin Iren Bischofberger über die Grenzen der Belastbarkeit – und das liebe Geld.

In der Schweiz kümmern sich vor allem Frauen um die Pflege von Angehörigen. Ihr Engagement wirkt sich finanziell negativ auf die eigene Versorgung im Alter aus. Laut einer neuen Studie des Bundesamtes für Statistik hat denn auch weit mehr als die Hälfte der Frauen in der Schweiz keine Pensionskasse. Welche Rolle spielt der finanzielle Aspekt der Pflege in der politischen Diskussion?

Zur Person

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Iren Bischofberger ist Pflegewissenschaftlerin und Programmleiterin Work & Care am Forschungsinstitut Careum Forschung, Prorektorin der Kalaidos-Fachhochschule und Leiterin des Studiengangs Master of Sciences in Nursing.

Dass Armut im Alter weiblich ist, wissen wir. Wir können davon ausgehen, dass dieses Problem noch grösser wird. Denn wenn Frauen im Alter in Zukunft sozial besser abgesichert sein wollen, müssen sie vermehrt erwerbstätig sein. Dann fehlen ihnen aber Zeit und Energie, um Angehörige zu pflegen.

Die Finanzierung der Pflege ist eine grundlegende politische und gesellschaftliche Frage. Der Bundesrat hat sich mit dem Bericht zur Unterstützung und Entlastung von Angehörigen und auch dem Bericht zu den Perspektiven der Langzeitpflege des zentralen Themas angenommen. Massnahmen sollen in den nächsten Jahren umgesetzt werden.

Gibt es von Seiten der Pflegewissenschaft Lösungsvorschläge?

Eine Idee ist zum Beispiel, dass Frauen und Männer, die Angehörige betreuen möchten, von der Spitex angestellt werden und einen Lohn bekommen, sofern sie noch im Erwerbsalter sind.

Die Finanzierung der Pflege ist eine grundlegende politische und gesellschaftliche Frage.

Das verbessert ihre eigene Absicherung im Alter und bringt der öffentlichen Hand auch Geld ein, weil die Einkommen versteuert werden. Dieses Modell wird bereits vereinzelt praktiziert, etwa im Kanton Graubünden oder in der Stadt Zürich.

Man darf auch nicht vergessen, dass Pflegefachpersonen den Beruf zugunsten der Betreuung von Familienmitgliedern aufgegeben haben. Diese könnte man über eine Anstellung bei der Spitex wieder in den Arbeitsmarkt führen.

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Es gibt also praktikable Vorschläge. Wie steht es mit der Umsetzung?

Die Erfahrungen, die die wenigen Spitex-Geschäftsleitungen mit diesem Ansatz bisher machen, sind gut. Allerdings handelt es sich bei solchen Anstellungen oft um kleine Pensen von 10 oder 20 Prozent.

Beim praktizierten Modell sind auch noch Fragen offen: Was heisst es, wenn ich als bezahlte Pflegehilfe meine Mutter oder meinen Vater in grossem Umfang betreue? Was bedeutet eine solche Anstellung rechtlich? Könnte man Angehörige zu einem solchen Spitex-Engagement sogar verpflichten?

Wie weit sich ein solches Modell gesellschaftlich breit durchsetzen kann, ist noch nicht absehbar.

Wenn sich Angehörige in der Pflege engagieren wollen, stellt sich ja auch die Frage, ob sie überhaupt die Kompetenz dazu haben.

Viele Angehörig entwickeln ihre Kompetenz im Verlauf ihrer Tätigkeit und können so «Expertinnen aus Erfahrung» werden. Meistens sind diese Kompetenzen spezifisch für ihre eigene Situation, zum Beispiel bei Depression oder Multipler Sklerose.

Auch die Spitex hat den Auftrag, Angehörige anzuleiten.

Die Frage ist, ob diese «Selbstqualifikation» ausreicht und wie die Angehörigen diese erreichen. Als Unterstützung dienen zum Beispiel Pflegehelferkurse, die vor allem Handreichungen vermitteln. Oder es gibt auch spezifische Schulungen, bei dem Angehörige und auch Patienten und Patientinnen mit chronischen Krankheiten Kompetenzen erlangen.

Auch die Spitex hat den Auftrag, Angehörige anzuleiten und kann diese Leistung mit der sogenannten Krankenpflege-Leistungsverordnung abrechnen.

Wie schätzen Sie die Entwicklung des Pflegebedarfs ein?

Dass der Bedarf an Pflegekräften steigt, ist sicher. Schon allein deswegen, weil immer mehr Menschen bei Krankheiten medizinisch behandelt werden können. Sie brauchen dann aber Betreuung, haben mit steigendem Alter zunehmend Unterstützung nötig und möchten vielleicht auch nicht in ein Heim.

Das Gespräch führte Sabine Bitter.

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