Zum Inhalt springen

Header

Inhalt

Reformen in der Wirtschaft «Mit permanenten Reformen wird man nicht glücklicher»

Ständige Reformen in der Wirtschaft? Braucht es nicht, sagt der Volkswirtschaftsprofessor Mathias Binswanger. Er plädiert für eine Mässigung.

Zur Person

Box aufklappen Box zuklappen
Legende: zvg

Mathias Binswanger ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Fachhochschule Nordwestschweiz, Privatdozent an der Universität St.Gallen und Autor zahlreicher Bücher.

SRF: Ist in unserer Wirtschaft eine Reform-Manie ausgebrochen?

Mathias Binswanger: Das ist tatsächlich so. Heute muss man nicht mehr begründen, weshalb man eine Reform umsetzt. Heute muss man sich rechtfertigen, wenn man keine Reform anpackt.

Früher hat man sehr oft am Alten festgehalten, man nennt das «status quo bias». Heute ist das genau umgekehrt: Der «status quo bias» ist durch den «reform bias» ersetzt worden. Alles wird permanent reformiert. Man muss heute dafür kämpfen, dass etwas so bleiben darf, wie es ist.

Die Worte erneuern, wachsen oder reformieren sind alle positiv besetzt. Bewahren oder erhalten tönen dagegen altbacken. Zählen heute nur noch Veränderungen?

Ja, das hat sich so eingeschlichen. Innovation ist auch ein ganz positiv besetzter Begriff. Treibt man eine Innovation voran, muss man nicht einmal mehr begründen, weshalb man das tut.

Reformen sind nicht mehr Mittel zum Zweck, sondern bereits selbst der Endzweck. Wozu sie schlussendlich dienen sollen, danach wird nicht mehr gefragt.

Sollten wir mehr bewahren?

Dem Bewahren sollten wir grössere Aufmerksamkeit schenken. Menschen wollen nicht ständige Veränderungen. Wer ein zufriedenes Leben führt, wünscht, dass sich ab und zu etwas verändert – nicht pausenlos. Mit permanenten Reformen wird man nicht glücklicher.

Auf einem endlichen Planeten wie der Erde kann man nicht unendlich wachsen.

Reformen sollen die Wirtschaft ankurbeln. Wachstum ist das Zauberwort. Kollabiert dieses System nicht irgendwann?

Lange hat man gemeint, irgendwann sei Schluss. Bereits am Anfang der Industrialisierung im 18. und 19. Jahrhundert wurden die ersten kritischen Stimmen laut. Besonders in den 70er-Jahren des 20. Jahrhunderts warnten viele von einem unvermeidlichen Zusammenbruch.

Irgendwann sei Schluss mit den Ressourcen, so lauteten die Argumente. Doch bis heute ist ein kompletter Kollaps nicht eingetreten. Immer neue Rohstoffe wurden gefunden.

Zudem wurden neue Technologien entwickelt, beispielsweise kann erneuerbare Energie genutzt werden. Das heisst, dieses Wirtschaftssystem, in dem wir leben, ist unheimlich flexibel.

Trotzdem: Ist irgendwann Schluss?

Auf einem endlichen Planeten wie der Erde kann man nicht unendlich wachsen. Bis jetzt konnten wir diese Grenze aber immer in die Zukunft verschieben.

HörPunkt «Reformieren!»

Box aufklappen Box zuklappen

Der «HörPunkt» am 2.11. steht unter dem Titel Reformieren! Die Macht der Veränderung. Wirtschaft, Sprache, Bildung, Staat und Religion werden heute laufend erneuert. Wir sprechen darüber mit Menschen, für die Reformen Alltag sind.

Können Sie sich Gegenmodelle vorstellen, die nicht mit einem stetigen Wachstum gekoppelt sind?

Gegenmodelle hat es immer gegeben. Sie waren aber nie erfolgreich oder haben sich gar nicht erst durchgesetzt. Unser heutiges System ist für uns sehr attraktiv. Es hat einen enormen Wohlstand geschaffen. Somit deckt sich das Interesse des Einzelnen mit dem der Wirtschaft.

Gibt es keine Alternative?

Es werden immer wieder neue Systeme diskutiert. Man denkt sich schöne Ideen aus, doch sobald sie in die Praxis umgesetzt werden sollen, tauchen Probleme auf. Dann lässt man alles beim Alten und macht weiter wie bisher.

Das Gespräch führte Kathrin Ueltschi.

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Hörpunkt, 2.11.2017, 14.00 Uhr

Meistgelesene Artikel