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Gesellschaft & Religion Seit 70 Jahren auf der Suche nach Verschollenen

Der Internationale Suchdienst des Roten Kreuzes nahm vor 70 Jahren, mitten im Zweiten Weltkrieg, die Suche nach Verschollenen auf. Bis heute erhält der Suchdienst ITS rund 10'000 Anfragen pro Jahr – auch aus der Schweiz. Und selbst nach so langer Zeit ist der ITS in vielen Fällen erfolgreich.

Es gibt jedes Jahr weniger Zeitzeugen aus dem Zweiten Weltkrieg: Sie sterben allmählich weg. Dennoch erhält der Internationale Suchdienst ITS im deutschen Bad Arolsen immer noch 10'000 Anfragen pro Jahr, oft von Kindeskindern, deren Eltern oder Grosseltern in einem Konzentrationslager waren, aber zu Lebzeiten kaum von der schrecklichen Erfahrung erzählt haben.

In der Hälfte der Anfragen kann der Suchdienst die gewünschten Auskünfte geben, dank einem Archiv mit 30 Millionen Dokumenten aus Konzentrationslagern, Ghettos und Gestapo-Gefängnissen.

Was aber bringt es den betroffenen Kindern und Enkeln, mehr zu erfahren über den Verbleib ihrer Angehörigen, wenn diese beispielsweise vor 70 Jahren in einem Konzentrationslager ermordet wurden? «Gewissheit», sagt ITS-Mitarbeiterin Kathrin Flor. «Für Kinder und Enkel kann es tröstlich sein, zu erfahren, in welchem KZ ihre Verwandten ermordet wurden, um einen Ort zum Trauern zu haben.»

Familienzusammenführungen nach Jahrzehnten

Bis heute hilft der Internationale Suchdienst auch bei einer Familienzusammenführung. Erst am 2. Januar läutete beim Suchdienst in Bad Arolsen das Telefon, und eine überglückliche Frau bedankte sich für die Hilfe. Sie hatte schon als Kind eine Ahnung gehabt, dass der Ehemann ihrer Mutter nicht ihr leiblicher Vater war. Als Teenager fand sie auf dem Dachboden einen Koffer mit dem Namen eines belgischen Zwangsarbeiters.

Die Mutter gestand ihr dann, dass der Zwangsarbeiter ihr leiblicher Vater sei, mit dem sie ein Verhältnis gehabt hatte, während der Ehemann in der Wehrmacht Dienst leistete. Erst nach dem Tod ihrer Mutter traute sich die Frau dann aber, nach ihrem leiblichen Vater zu suchen, und fand schliesslich ihre Halbgeschwister in Belgien.

Dank dem Suchdienst die Grosscousine in Tel Aviv gefunden

Einer, der vor über 20 Jahren dank dem Internationalen Suchdienst seine Verwandten gefunden hat, ist der Schweizer Psychotherapeut Daniel Teichman. Aufgewachsen als Sohn einer jüdisch-ungarischen Familie in der Schweiz, hatte er hierzulande keine Verwandten. Die Familienmitglieder waren während des Holocaust teils ermordet, teils in die ganze Welt verstreut worden.

Auf der Suche nach Verwandten durchforstete Daniel Teichman darum die Listen von Konzentrationslager-Häftlingen – und fand darauf eine Grosscousine seiner Mutter, die mittlerweile über 80 war und in Tel Aviv lebte.

Familientreffen mit Zwischentönen

Das Erfolgserlebnis führte ihn dazu, andern Menschen zu helfen, ihre Verwandten zu finden. Der Psychiater ist manchmal auch dabei, wenn sich Familienmitglieder nach Jahrzehnten das erste Mal wieder treffen. Nicht immer haben solche Zusammenkünfte jedoch ein Happy End.

Besonders in Erinnerung ist Daniel Teichman ein Treffen von Verwandten, die schon seit Jahrzehnten die Spur zueinander verloren hatten. Bei dem Treffen sei eine ungute Dynamik entstanden, erzählt der Psychotherapeut. Denn der Holocaust hatte die beiden Familien-Zweige auseinander geführt, und der Konflikt von damals kam nun unter den Nachkommen wieder auf.

Audio
«70 Jahre Internationaler Suchdienst» von Christina Caprez
aus Kultur kompakt vom 31.01.2013.
abspielen. Laufzeit 8 Minuten 11 Sekunden.

Daniel Teichman warnt darum Menschen, die ihre Verwandten suchen, vor überhöhten Erwartungen. Dennoch rät er nicht grundsätzlich davon ab, der eigenen Geschichte nachzugehen. Denn selbst wenn die Recherche Schwieriges zu Tage fördert: Erkenntnisreich ist sie allemal.

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