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Sexismus in der Tech-Branche «Eine Physikstudentin wird noch heute schräg angeschaut»

Das Silicon Valley ist eine Männerwelt – aber auch der ETH Zürich fehlen die Frauen: Renate Schubert, die Delegierte für Chancengleichheit, weiss warum.

Die Empörung war gross: Ein Google-Entwickler veröffentlicht ein sexistisches Manifest – und ist seinen Job los. Im Text geht es, je nach Lesart, um die Gleichstellungspolitik im Silicon Valley oder um die biologischen Unterschiede zwischen Mann und Frau. Sie seien der Grund, weshalb Frauen sich weniger für die Jobs in der Tech-Branche eignen.

Fakt ist: Der Frauenanteil im Silicon Valley ist noch immer niedrig. Genau wie an der ETH Zürich, die in der Schweiz den Nachwuchs der Tech-Branche ausbildet. Diese Ungleichheit zu ändern ist der Auftrag von Renate Schubert. Sie ist ordentliche Professorin für Nationalökonomie und die Delegierte für Chancengleichheit an der ETH.

Zur Person

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Legende: ETH Zürich / Daniel Winkler

Die Ökonomie-Professorin Renate Schubert setzt sich als Gleichstellungsbeauftragte für einen höheren Frauenanteil an der ETH ein.

SRF: Was halten Sie vom umstrittenen Google-Memorandum?

Renate Schubert: Man kann sicher nicht sagen, die Frauen hätten einen geringeren Aufstiegswillen oder eine geringere Frustrationstoleranz.

Weshalb wir wenig Frauen in den technischen Domänen finden, liegt daran, dass allen – Frauen und Männern – zu wenig vermittelt wird, dass das wahnsinnig spannende Felder sind, in denen man kreativ sein kann. Wenn das früher an Jungs und Mädchen vermittelt würde, stünden wir heute besser da.

Müsste das Gleis früher gelegt werden in der Schule?

Es passiert viel, aber Studien belegen, dass im Alter von 14 bis 15 Jahren etwas zu kippen beginnt. Mädchen sind bis dahin durchaus interessiert – und dann passieren merkwürdige Dinge. Das hat damit zu tun, dass geeignete Rollenmodelle fehlen.

Die Unterstützung in der Familie und in der Gesellschaft ist immer noch schwach, wenn Mädchen sich tatsächlich für die MINT-Fächer interessieren (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik, Anm. der Redaktion).

Noch heute wird eine junge Frau schräg angeschaut, wenn sie Physik studieren möchte – auch von ihren eigenen Freundinnen.

Ändert sich das für die nächste Generation?

Es wird zwar besser, aber den grossen Sprung haben wir noch nicht geschafft. Die Chancen in der Schweiz stehen aber insofern gut, weil Informatik ein echtes Schulfach im Gymnasium wird. Das ist schon mal eine wichtige Sache.

ETH-Statistiken zum Frauenanteil an der Hochschule zeigen, dass er zurzeit bei einem Drittel liegt. Das ist unter dem Ziel, das sich die ETH bis 2016 gesetzt hat.

Es ist weniger, als wir erreichen wollten. Und weniger, als was wir erreichen könnten. Sieht man den Anteil der Mädchen im Gymnasium, die naturwissenschaftlich-technischen Schwerpunktfächer belegen, müssten wir auf 40 Prozent kommen können.

Die ETH hat das Problem, dass sie bis anhin kein Medizinstudium anzubieten hatte. Viele Mädchen, die naturwissenschaftliche Fächer in der Schule haben, gehen in den Bereich Medizin. Das ändert sich jetzt. Die ETH bietet ab demnächst auch ein Einstiegsstudium in die Medizin an.

Die Unterschiede, die wir in der Realität sehen, sind nicht auf angeborene Unterschiede zurückzuführen.

Dann hat sie noch das zusätzliche Problem, dass generell das Studium – auch nicht ganz zu Unrecht an der ETH als relativ schwierig angesehen wird. Das produziert stereotype Reaktionen.

Jungs sagen: «Super, das ist meine Herausforderung», während die Mädchen zweifeln und denken: «Ob ich das wohl schaffe?» Selbst wenn es sie interessiert, gehen sie dann vielleicht auch nicht an die ETH studieren.

Sind die Mädchen unsicher, weil sie so erzogen werden? Oder sind sie von Natur aus so, wie es der Google-Programmierer behauptet?

Dass sie von Natur aus so seien, kaufe ich ihm so nicht ab. Das ist eine Diskussion, die seit Jahrzehnten geführt wird. Was ist angeboren, was ist anerzogen? Es hat Komponenten von beidem.

Die Unterschiede, die wir in der Realität sehen, sind nicht auf angeborene Unterschiede zurückzuführen, sondern haben viel mit den Strukturen zu tun, in denen wir leben.

Bei den Professuren an der ETH ist die Bilanz noch dünner. Der Frauenanteil beträgt 11 Prozent.

Damit sind wir nicht zufrieden. Einerseits würden wir gerne den Anteil der Studentinnen hochschrauben, andererseits die sogenannte Leaky-Pipeline abschwächen.

Das bedeutet, dass selbst in Fächern, wo wir einen Studentinnen-Anteil von 50 Prozent und mehr haben – etwa in der Biologie – am Schluss auch nur 10 Prozent Professorinnen dastehen. Das Problem ist nicht einfach zu lösen.

Man muss ausprobieren und darf sich nicht zu schnell ins Bockshorn jagen lassen.

Die ETH versucht viel – angefangen damit, dass Listen für die Berufung auf eine Professur beim Präsidenten keine Chance haben, wenn nicht mindestens eine Frau drauf ist. Und wenn dokumentiert ist, was alles unternommen wurde, um Frauen zu finden. Es wird also sehr explizit und aktiv nach Frauen gesucht.

Da ist noch viel zu tun und eines der Probleme liegt auch darin, dass der Weg vom Doktorat zur Professur bei den Frauen biologisch mit der Phase zusammenfällt, in der sie typischerweise Kinder haben.

Sie haben diesen Weg geschafft. Wenn Sie Ihrem jüngeren Ich einen Ratschlag geben müssten – was würden Sie sagen?

Man muss ausprobieren und darf sich nicht zu schnell ins Bockshorn jagen lassen. Man muss bereit sein, sich auch auf Unsicherheiten des Lebens einzulassen.

Hätten Frauen eine grössere Risikobereitschaft, wäre schon viel gewonnen. Aber die Risikobereitschaft allein reicht natürlich nicht. Wir müssen auch die Strukturen schaffen, in denen diese Risikobereitschaft belohnt wird.

Das Gespräch führte Nicoletta Cimmino.

Sendung: Radio SRF 1, Echo der Zeit, 13.8.2017, 18.00 Uhr

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