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Spaniens verlorene Generation Tag 3: Müllberge und Abfallverträge

In Madrid, wo gerade die Müllmänner streiken, begegne ich Núrias Schwester Ruth. Ihr wurde aus Spargründen gekündigt. Doch Ruth ist nicht verzweifelt, sondern erleichtert.

Am dritten Tag nimmt uns Núria mit nach Madrid. Sie will uns ihre Schwester Ruth vorstellen. Schon bei der Ankunft in Spaniens Hauptstadt ist klar, weshalb Madrid auch Hauptstadt der Krise genannt wird. Der Unmut ist sicht- und spürbar: Überall Plakate und Graffiti, die zum Generalstreik aufrufen. Wohin wir auch gehen, türmen sich stinkende Abfallberge. Die Müllmänner streiken.

Grosseltern protestieren für ihre Enkel

Nina Brunner blättert in der spanischen Zeitung «El País».
Legende: In der Zeitung «El País» erfahre ich, dass viele Berufsgruppen streiken. Kulturplatz

Blättert man in der grössten politischen Tageszeitung «El País», stellt man fest, dass dieser Streik nur einer von vielen ist: Krankenschwestern, Lehrer, Kulturschaffende – sie alle leiden unter massiven Sparmassnahmen und verschaffen ihrem Ärger mit Protestaktionen Luft. Nota bene auch die Journalisten der erwähnten Zeitung. Ein Drittel der Belegschaft soll entlassen werden.

Oft gehen Eltern, Grosseltern und arbeitslose Freunde stellvertretend für die Betroffenen auf die Strasse. Der Lohnausfall eines Streiktages kann sich nicht jeder leisten.

Die Kündigung als Erlösung

Núrias Schwester Ruth arbeitete in einer PR-Agentur. Immer öfter wurden Kollegen entlassen, Druck und Angst nahmen zu, massive Überstunden wurden zur Normalität. Die Nerven der 28jährigen lagen blank, auch ein ärztliches Attest änderte nichts an ihrem Pflichtenheft. Als Ruth als eine der letzten ihrer Abteilung entlassen wird, ist sie erleichtert. Selbst kündigen war in der aktuellen Marktsituation zu riskant und deshalb keine Option. Nun hatte sie wenigstens Arbeitslosengeld zugute.

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«Gegessen habe ich vor dem Computer»
Aus Kultur Extras vom 27.12.2012.
abspielen. Laufzeit 41 Sekunden.

Ein einziges Bier an einem Abend

Eine lange Schlage vor einem Lotto-Geschäft in Madrid.
Legende: Die Krise in schwarz-weiss: Anstehen für einen Lotto-Schein. Ruth Martínez Berenguer

Ruth sieht in der Krise ihre ganz persönliche Chance. Sie macht nun das, was sie schon immer machen wollte: eine Ausbildung zur Fotografin und Grafikdesignerin.

Auf einer Art Fotosafari führt Ruth uns durch Madrid. Sie versucht, die Auswirkungen der Krise in ihren Bildern festzuhalten: Die Disco, die schliessen musste, weil sich die Jungen keine Party mehr leisten. Der klagende Barbesitzer, dessen Kundschaft nur noch auf ein einziges, kleines Bier vorbei kommt – welches dann unendlich langsam getrunken wird.

Debatte im WG-Wohnzimmer

In Ruths WG treffen wir einige von ihren Freunden. Die Theaterschauspieler klagen über den Filz in ihrer Szene. Gehöre man nicht zum «Kuchen», habe man momentan keine Chance. Früher habe sich herumgesprochen, wenn jemand seinen Job verloren hatte. Jetzt mache im Freundeskreis die Runde, wenn endlich jemand einen Job findet. Es wird still im kleinen Wohnzimmer.

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«Man muss Prioritäten setzen und dafür kämpfen»
Aus Kultur Extras vom 27.12.2012.
abspielen. Laufzeit 46 Sekunden.

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