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Gesellschaft & Religion Spurensuche in der Bibliothek: Wem gehören die Nazi-Raubbücher?

In deutschen Bibliotheken stehen tausende Bücher, die von den Nationalsozialisten geraubt wurden. In Berlin haben Forscher damit begonnen, die rechtmässigen Besitzer ausfindig zu machen. Sie wollen die Bücher den Nachkommen zurückgeben.

  • Nach dem Zweiten Weltkrieg haben viele Bibliotheken ihren Bestand mit Schenkungen oder antiquarischen Ankäufen aufgebaut. Darunter befanden sich auch Bücher aus NS-Raubgut.
  • Der materielle Wert der Bücher ist verglichen zu Kunstwerken gering. Die Forscher betonen den emotionalen Wert für die Nachkommen.
  • Bis jetzt konnten erst 90 Bücher an die Nachkommen der Besitzer zurückgegeben werden.

Die Nationalsozialisten haben während ihrer Terrorjahre 1933 bis 1945 von Menschen, die sie für lebensunwert hielten, so ziemlich alles geraubt und gestohlen: Geld, Schmuck, Kunstwerke und – Bücher.

Seit Jahren wird engagiert versucht, geraubte Kunstwerke ihren Besitzern oder deren Nachkommen zurückzugeben. Die Aufarbeitung von Büchern fängt gerade erst an. Alleine in der Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin stehen 67'000 Bücher bei denen nicht klar ist, wem sie gehören.

Nicht jedes Buch ist Raubgut

«Wir gehen jedes einzelne Buch von Hand durch», sagt Matthias Maede. Der Berliner ist Provenienzforscher der Universitäts-Bibliothek. Er fahndet nach der Herkunft von Kulturgütern. Schlussendlich dürften aber nur knapp zehn Prozent der 67'000 Bücher auch tatsächlich NS-Raubgut sein.

Die Uni-Bibliothek Berlin wurde 1952 eröffnet. «Nach dem Krieg war man froh, neue Bibliotheken überhaupt mit Büchern zu füllen», so Maede. Die NS-Raubgüter fanden den Weg in die Bibliothek durch Schenkungen oder antiquarischen Ankäufen. «Die unterschiedliche Herkunft macht die Recherche noch schwieriger», so Maede.

Kritzeleien und Stempel helfen weiter

Matthias Maede am Schreibtisch vor einem Buchregal.
Legende: Auf der Suche nach der Herkunft untersucht Matthias Maede die Bücher auf Kritzeleien, Stempel oder Exlibris. Philipp Bürkler

Mit seinem Team versucht Maede herauszufinden, wem die Bücher ursprünglich gehört haben: «Wir suchen in den Büchern nach sogenannten Provenienzmerkmalen.»

Zu den Merkmalen gehören handschriftliche Kritzeleien, Namen, Stempel, Autogramme, Etiketten oder Exlibris, also eingeklebte Zettel mit dem Namen des Besitzers. Alles, was ein Hinweis auf die ursprünglichen Besitzer geben könnte.

«Natürlich haben wir auch Zugang zu Datenbanken von anderen Forschungsprojekten», sagt Maede. Seit 2012 gibt es die Website lootedculturalassets.de auf der nach geraubten Kulturgütern gesucht werden kann.

Schön, aber nicht besonders wertvoll

Die herrenlosen Bücher in den Regalen der Uni-Bibliothek Berlin scheinen wahre Schätze zu sein. Alt, in Leder gebunden und der Text in schöner Frakturschrift. Ein Traum für jeden Buchliebhaber.

Matthias Maede relativiert: «Klar sind die Bücher schön, wertvoll sind sie aber nicht.» Bücher seien – im Gegensatz zu Kunstwerken – keine Unikate, sondern Massenware. «Die Bücher haben eher einen ideellen als einen ökonomischen Wert.»

Die Literatur ist vielfältig. In den Regalen steht der deutsche Soziologe Max Weber neben «Technik und Wissenschaft» oder einem Wörterbuch zu «Staatswissenschaften». Die meisten seien jedoch Judaika – Bücher, die sich mit dem Judentum befassen.

Kleiner Erfolg, grosse Bedeutung

Obwohl das Nazi-Regime vor mehr als 70 Jahren unter gegangen ist, werden geraubte Bücher erst jetzt aufgearbeitet. «In der Provenienzforschung hat sich in den letzten Jahren sehr viel getan», so Maede. Erst jetzt gebe es für die Forschung finanzielle Mittel und das entsprechende Bewusstsein.

Eher bescheiden ist bisher der Erfolg. Nur gerade 90 Bücher konnten an Erben zurückgegeben werden. Trotzdem sei die Arbeit wichtig: «Für Nachkommen ist es meist emotional, wenn ein Gegenstand wieder in den Familienbesitz kommt.» Ein Buch erzählt ein Stück weit auch die Geschichte des Besitzers. Oder wie bereits Goethe sagte: «Auch Bücher haben ihr Erlebtes, das ihnen nicht entzogen werden kann.»

Sendung: Kultur aktuell, 14. April 2016

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