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Übergriffe auf Nonnen Wenn der Missbrauch zu einem Gnadenerweis wird

Nebst den Skandalen zum Kindesmissbrauch tut sich in der katholischen Kirche ein weiterer Abgrund auf: In verschiedensten Ländern wurden über Jahrzehnte systematisch Ordensfrauen missbraucht und teils sogar als Sexsklavinnen gehalten.

Journalistin Christiane Florin erklärt, welche Strukturen diesem Problem zugrunde liegen.

Christiane Florin

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Journalistin

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Christiane Florin ist Autorin und Redaktorin bei «Religion und Gesellschaft» des Deutschlandfunks. Zuvor war sie Leiterin der «Zeit»-Beilage Christ&Welt. Zuletzt ist ihr Buch «Weiberaufstand. Warum Frauen in der katholischen Kirche mehr Macht brauchen» erschienen.

SRF: An diversen Orten der Welt werden Ordensschwestern von Priestern missbraucht. Woran krankt die katholische Kirche?

Christiane Florin: Meines Erachtens hat das mit dem offiziell verordneten Frauenbild zu tun. Katholikinnen sollen grundsätzlich demütig sein.

Es sind geweihte Männer, die sagen, wie die weibliche Selbstverwirklichung ausschaut: Man hat die Wahl zwischen Jungfrau und Mutter bzw. Ehefrau, dazwischen gibt es eigentlich nichts.

Priester können sich, wenn sie übergriffig werden, als Werkzeug Gottes inszenieren.

Die Rolle der Ordensfrau ist nochmal speziell. Es gibt so etwas wie ein Minderwertigkeitsgefühl der Frauenorden gegenüber den Männerorden.

Die Ordensoberen von Männerorden haben andere Rechte als jene von Frauenorden. Männliche Ordensobere sind etwa bei Synoden, also Bischofsversammlungen, stimmberechtigt – weibliche nicht. Da ist schon ein massives Ungleichgewicht.

Dieses Frauenbild kommt aber nicht unbedingt aus der Bibel?

Nein, nicht direkt, sondern aus katholischen Lehrschreiben. Bekannt ist etwa das Schreiben von Papst Johannes Paul II «Mulieris diginitatem» von 1988 oder eines von Joseph Ratzinger aus dem Jahr 2004 über das Verhältnis von Männern und Frauen in der Kirche. Da wird die Rolle der Frau anhand der Gottesmutter Maria erläutert und vor Feminismus gewarnt.

Papst Franziskus glaubt, dass das Problem des Missbrauchs vom Klerikalismus herrührt, also die Überhöhung des priesterlichen Selbstverständnisses. Einverstanden?

Das ist sicherlich ein Problem. Man wird durch Gott zu einer Machtposition berufen. Dadurch entsteht ein Hierarchiesystem, das quasi jeder Kontrolle entzogen ist.

Priester werden als Vertreter Gottes verstanden. Sie können sich, wenn sie übergriffig werden, als Werkzeug Gottes inszenieren und vermischen dann Spirituelles mit Sexuellem: Ein ungeheures Machtgefälle, indem Missbrauch zu einem Gnadenerweis wird.

Deshalb das jahrzehntelange Schweigen der Frauen?

Wenn Frauen einen Priester beschuldigen, kritisieren sie immer einen Stellvertreter Christi. Die Machenschaften des Priesters zu hinterfragen und sogar zu verurteilen, das ist für eine missbrauchte Ordensfrau ein schwieriger Prozess.

Man möchte nicht als Nestbeschmutzerin gelten.

Überdies haben sie ein Gehorsamkeitsgelübde abgelegt. Die Frauen suchten den Fehler zuerst bei sich selbst. Sie dachten, sie hätten sich schuldig gemacht und den Mann vielleicht verführt.

Der Austritt aus dem Kloster kommt ja auch dem finanziellen Ruin gleich?

Die Frauen sind in einer grossen Abhängigkeit, wirtschaftlich wie auch psychisch. Sie haben ihre ganze Arbeitskraft und das ganze Leben dem Orden gewidmet.

Aber der Orden ist die Wahlfamilie. Es ist kein Zufall, dass man von «Brüdern» und «Schwestern» spricht. Man möchte nicht als Nestbeschmutzerin gelten.

Weiss man denn in etwa, wie viele Ordensfrauen unter Missbrauch gelitten haben und noch leiden?

Für den deutschsprachigen Raum gibt es keine offiziellen Zahlen. Aus meinen privaten Gesprächen mit Ordensschwestern hatte ich aber den Eindruck, dass Missbrauch ein grosses Thema sei.

Wenn aber alle aus der Kirche austreten, die kritisch sind und die Diskussion suchen, dann wird es nur schlimmer.

In Amerika gibt es eine Studie aus den 1990er-Jahren, in der knapp 30 Prozent der 578 befragten Ordensfrauen angaben, in ihrer Gemeinschaft sexuellen Missbrauch erlebt zu haben.

Sie sind bekennende Katholikin. Nach all den Skandalen in den letzten Jahren hat die katholische Kirche diverse Austritte zu verbuchen. Haben Sie die Geduld mit dieser Institution noch nicht verloren?

Ich kann jeden verstehen, der austritt. Wenn aber alle rausgehen, die kritisch sind und die Diskussion suchen, dann wird es nur schlimmer.

Mit einem Austritt ist das Problem nicht gelöst. Ich will das Feld nicht den Autoritären überlassen. Deshalb versuche ich, Debatten anzustossen, hinterfrage und bin kritisch. Ob das reicht? Ich weiss es nicht.

Das Gespräch führte Olivia Röllin.

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