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Gesellschaft & Religion (Wer) alles fährt Ski? Ein Pistenbericht

Der Schweizer Wintersport ist in der Krise. Immer mehr Menschen entscheiden sich für andere Freizeitangebote, ausländische Gäste gehen lieber ins billigere Österreich. Wer fährt überhaupt noch Ski? Und warum? Reportage von einem stürmischen Skitag in Flumserberg.

Zürich Hauptbahnhof, Sonntag früh um viertel vor acht. Auf Gleis 32 drängen sich Dutzende junge Männer und Frauen und eine Handvoll Kinder mit ihren Eltern, alle in Ski-Anzügen, die Skier oder das Snowboard in der Hand. Das Ziel heisst Unterterzen, die Talstation des Skigebiets Flumserberg. Der Zug ist voll, trotz schlechter Wetterprognose.

Die Augen der Reisenden glänzen vor Vorfreude. Aus allen Ecken der Welt stammen die jungen Frauen und Männer – als ob sie das Bild widerlegen wollten, dass der Schweizer Wintertourismus auch darum in der Krise steckt, weil die ausländischen Gäste wegbleiben.

«In Switzerland, you simply have to ski!»

Zwei junge Frauen und ein Mann aus China haben mit dem Skifahren erst vor kurzem angefangen. Sie studieren in Zürich: «If you live in Switzerland, you simply have to ski!» Wenn man in der Schweiz lebe, müsse man doch einfach skifahren, meinen sie unisono.

HörPunkt Wintertourismus

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Radio SRF2 Kultur sendete am 2. Februar live aus Adelboden und diskutierte mit Menschen aus der Branche und Fachleuten allen zentralen Fragen. Zu Gast waren u.a. die Tourismusforscherin Monika Bandi, Klimaexperte Thomas Stocker und der Fotograf und Massentourismus-Kritiker Lois Hechenblaikner.

Ed aus England hat als Kind in Frankreich Skifahren gelernt. «Als ich auf Stellensuche war, hat die Schweiz mit ihren Bergen bei mir gepunktet», sagt er. Dass er für den Skitag über 100 Franken ausgibt, stört ihn nicht: «Wäre ich ein Fussballfan, würde ich diesen Betrag jedes Wochenende ausgeben.»

«Snow-nado» auf der Skipiste

Bei der Bergstation des Sesselliftes angekommen, ist die Stimmung aufgeräumt, trotz schneidendem Wind und eisigen Temperaturen. Mitten im Schneegestöber versuchen ein Skilehrer und seine Schüler sich zu verständigen. Ein «Snow-nado» sei das hier, lacht ein Schüler gut gelaunt – wie ein Tornado, nur mit Schnee. Der Bart des Skilehrers ist gefroren.

Es sind auffallend viele Skischulen unterwegs heute. Wer den Unterricht im Voraus gebucht hat, fährt bei jedem Wetter. Ich suche mir einen Weg durch das Schneetreiben und versuche krampfhaft, nicht umzufallen. Als die Talstation in Sicht ist, atme ich auf. Andere sind souveräner unterwegs.

Das Surf-Gefühl auf dem Schnee

Warum er bei diesen Bedingungen auf die Piste gehe, frage ich einen jungen Snowboarder am Fuss der Sesselbahn. «Das Surf-Gefühl auf dem Brett ist bei jedem Wetter toll», erklärt er. «Und wenn es so schneit wie heute, hat es sogar auf der Piste Pulverschnee.»

Auch eine Mutter aus Zürich und ihr Kind lassen sich die Laune nicht verderben. «Wir haben es gut miteinander, das ist die Hauptsache», lacht die Mutter. Sie machten auch jedes Jahr Skiferien. Im Winter an einen Strand im Süden zu fliegen, sei nicht ihr Ding: «Wir versuchen, mit den Jahreszeiten zu gehen.»

Skifahren als Familientradition

Winter in Ehren: Mir ist es nach zwei Abfahrten zu kalt, und ich fliehe in die Beiz. Drinnen sitzen die Gäste mit roten Backen vor dampfenden Teller. Chicken Nuggets mit Pommes Frites und Bratwurst mit Rösti sind die Renner. Urs Weber ist mit seinen beiden Kindern aus Zuzwil, St. Gallen, angereist. Das Skifahren ist eine Familientradition, die der 49-jährige als Bub von seinen Eltern gelernt hat.

Mit ihnen machte er nicht nur die ersten Schwünge im Schnee, sondern schaute sich auch fast jedes Skirennen an: «Die grossen Rennen – Lauberhorn, Kitzbühel – waren die einzigen Momente, in denen wir fernsehen durften.» Heute verfolgt er den Profi-Skisport nur noch am Rand.

Auch an diesem Sonntag läuft am Bildschirm im Ski-Stübli ein Skirennen, der Weltcup-Riesenslalom der Damen, doch kaum einer schaut hin. Ausser ein paar Kindern, die mit dem Jugendskiclub angereist sind. Alle sind Fan von Lara Gut – dem momentan einzigen weiblichen Star der Schweizer Ski-Nation. An diesem Sonntag fährt sie allerdings auf den bescheidenen 19. Rang. «Lara Gut verpasst eine grosse Chance», werden die Zeitungen am nächsten Tag titeln.

Mit Stroh unter den Brettern den Berg hoch

Ein paar Tische weiter sitzt eine 67-jährige Glarnerin und erinnert sich an früher. Als Kind sei sie noch mit Holzlatten in die Schule gefahren: «Skilifte gab es noch keine, und anstelle von Fellen hat man uns Kindern Stroh unter die Skier gebunden. Im Vergleich dazu sind die heutigen Carving-Skier ein Segen.»

Kritischer sieht sie die veränderte Mentalität der Leute. «Heute ist man zu faul, morgens früh aufzustehen, um auf die Piste zu gehen.» Kinder und Jugendliche hockten lieber daheim vor dem Computer. Ich will nicht zu den Faulen gehören und verabschiede mich, um noch eine Abfahrt unter die Skier zu nehmen. Trotz Schneegestöber.

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