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Gesellschaft & Religion Wiederholt sich das Trauma der «Schrank-Kinder»?

Tausende von Kindern sollen es gewesen sein, die sich zwischen 1934 und 2003 illegal in der Schweiz aufhielten. Illegal, weil der Familiennachzug für Saisonniers verboten war. Was die Kinder von damals traumatisierte, könnte sich nun nach der Annahme der «Masseneinwanderungsinitiative» wiederholen.

Jahrelang wurde die Existenz illegal in der Schweiz lebender Kinder von offizieller Seite ignoriert. Was sich in den Geschichten dieser Saisonnier-Kinder offenbart, ist ein humanitärer Skandal. Unzählige psychische und familiäre Tragödien, die sich tagtäglich, nebenan, mitten unter uns ereignet haben.

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Zurück zum Saisonnier-Statut
Aus 10 vor 10 vom 12.02.2014.
abspielen. Laufzeit 4 Minuten 48 Sekunden.

Mit der jüngsten Volksabstimmung gegen die «Masseneinwanderung» stehen die Fragen nach der Wiedereinführung von Saisonnierstatut und Familiennachzugsverbot im Raum. Und damit sind auch die Kinder von Saisonniers wieder Teil der politischen Diskussion.

Die Betroffenen aus den Zeiten des Saisonnierstatuts (1934-2002) erkennen, dass ihre traumatische Vergangenheit wieder Gegenwart werden könnte. In der Sendung «Club» werden sie aus ihrem schwierigen Leben erzählen.

Bis zu 140'000 «Schrank-Kinder»

1991 trat das Kinderhilfswerk der Uno zum ersten Mal mit dem Thema der «verbotenen Kinder» an die Öffentlichkeit. Das Medien-Echo war enorm. Die Zahlen der Unicef wurden kontrovers diskutiert, aber sie gaben zu reden.

Buchhinweis

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Marina Frigerio: «Verbotene Kinder. Die Kinder der italienischen Saisonniers erzählen von Trennung und Illegalität.» Rotpunkt, 2014.

Die Weltorganisation ging von einer demographischen Annahme aus: In dieser Zeit lebten 120'000 Saisonniers in der Schweiz, rechnete Unicef vor. 70'000 hatten Familie und waren von diesen getrennt. Unter der Annahme, dass jede dieser Familien im Durchschnitt 2 Kinder besass, muss von rund 140'000 Saisonnierkinder ausgegangen werden.

140'000 Schutzbefohlene, die entweder unter traumatischen Trennungserfahrungen litten oder dann in Illegalität und Isolation aufwuchsen. Noch nicht mitgezählt sind die Jahresaufenthalter, die ihre Familien ebenfalls nicht zu sich nehmen durften.

Sich vom Saisonnier-Statut befreien

Die damalige Entscheidung der Eltern, ihre Kinder entweder fremdzuplatzieren oder sie heimlich bei sich zu haben, setzt den Familienbeziehungen bis heute zu. Viele Eltern leiden unter erdrückenden Schuldgefühlen. Und bei nicht wenigen Kindern sind unüberwindbare, innere Barrieren entstanden.

Video
Immigranten-Kinder: Ab in den Schrank
Aus Kulturplatz vom 09.04.2008.
abspielen. Laufzeit 6 Minuten 43 Sekunden.

Sie waren damals die Opfer einer von Mitgefühl befreiten Systematik: Rotation statt Integration. Heute sind diese «Schrank-Kinder» erwachsen, traurig und voller Groll.

Der Anfang dieser Kette reicht ins Jahr 1934 zurück. Damals wurde in der Schweiz das sogenannte Saisonnierstatut eingeführt. Die Wirtschaft holte Ausländer ins Land, wo die Konjunktur sie brauchte. Eine Saison dauerte jeweils neun Monate.

Auf neun Monate Plackerei in der Schweiz folgten drei Monate Pause in der Heimat. Drei Monate des bangen Wartens auf einen neuen Vertrag. Unter dem Eindruck einer kraftvollen Migration legte die Eidgenossenschaft ab 1963 für jeden Kanton ein fixes Kontingent solcher Saisonniers fest. Für die ausländischen Werktätigen, die hier dennoch weiter arbeiten wollten, stieg die existenzielle Unsicherheit abermals.

Wiederholt sich ein düsteres Kapitel?

Wie fühlt sich das als Kind an, die meiste Zeit eingeschlossen daheim zu sitzen, ohne Kontakt zu anderen Kindern? Was macht eine solche Situation mit einer Familie? Wie findet sie vielleicht trotzdem einen Weg?

Aber vor allem: Ist die Schweiz mit der Umsetzung der «Masseneinwanderungsinitiative» auf dem besten Weg, dieses düstere Kapitel Schweizer Geschichte zu wiederholen? Im Club mit Karin Frei erzählen ehemalige «verbotene Kinder» und diskutieren mit SVP- und SP-Politikern.

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