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Frauenstreik «Ich hätte mich nicht wundern sollen, sondern beklagen»

«Wenn Frau will, steht alles still», hiess es 1991. In verschiedenen Schweizer Städten zogen pinke Menschenströme durch die Strassen.

Es waren streikende Frauen, vereinzelt auch Männer – alle mit derselben Forderung: Der Gleichstellungsartikel, der seit zehn Jahren in der Bundesverfassung stand, sollte endlich umgesetzt werden.

28 Jahre später wird erneut zum Frauenstreik mobilisiert. Wie ging es dir damals, Mama, und wie geht es dir heute? Drei SRF-Kulturredaktorinnen fragen bei ihren Müttern nach.

Sabine Lambrecht, Hausfrau

Porträt-Illustration: Eine Frau, im Hintergrund streikende Frauen.
Legende: Sabine Lambrecht (71), dreifache Mutter und ausgebildete Zahnärztin aus Basel. SRF / Cecilia Bozzoli

Damals ...

«... war ich im Zügelstress. Mein Mann hatte eine Stelle in der Schweiz angetreten, unsere Familie zog im Sommer 1991 von Norddeutschland nach Basel. Dass es hier einen Frauenstreik gab, hatte ich nicht mitbekommen.

Ich bin Zahnärztin, in Deutschland habe ich als Mutter von drei Kindern Teilzeit gearbeitet. In der Schweiz allerdings durfte ich nicht arbeiten. Mein deutsches Staatsexamen wurde hier nicht anerkannt, damals gab es die bilateralen Verträge noch nicht. Ich war ziemlich frustriert und dachte: ‹Gut, wenn ihr mich nicht wollt, habt ihr Pech gehabt›.

Ich hab’ mich auf meine Kinder konzentriert und meinem Mann den Rücken freigehalten. Somit wurde ich dann – eher unfreiwillig – Hausfrau. Gleichzeitig habe ich meine Freizeit genossen, Kurse in der Volkshochschule besucht, und war für meine Kinder da. Mein Mann verdiente zum Glück genug, sodass ein Gehalt ausreichte.»

Heute ...

«... wundere ich mich, wie altmodisch das Schweizer Krippen- und Schulsystem immer noch ist. Dass die Kinder etwa Punkt 12 Uhr aus der Schule kommen oder die Krippen schon um 18 Uhr schliessen. Was machen denn die Eltern, die vor 8 Uhr zur Arbeit gehen und erst nach 18 Uhr aus dem Büro kommen?

Ich sehe, wie meine Töchter und Schwiegertochter mit der Organisation von Berufsalltag und Kinderbetreuung an ihre Grenzen stossen. Und frage mich, warum das nicht besser geregelt ist. Ich habe fast das Gefühl, die Schweizer Politik will nicht, dass Frauen arbeiten.

Ich erinnere mich noch gut, wie das damals bei mir war, mit drei Kindern. Da ging die eine um 8 Uhr aus dem Haus, der andere um 10. Die dritte kam um 11 aber schon wieder zurück. Um 12 waren dann alle da und mussten aber um 2 wieder weg. Ich weiss nicht, wie das hätte funktionieren sollen, wenn ich gearbeitet hätte.»

Branka Matijašević, Restaurant-Mitarbeiterin

Porträt-Illustration: Eine Frau, im Hintergrund streikende Frauen.
Legende: Branka Matijašević (61), dreifache Mutter und Restaurant-Mitarbeiterin aus Kreuzlingen. SRF / Cecilia Bozzoli

Damals ...

«... lebte ich mit meinem Mann und drei kleinen Kindern in Kroatien. Bevor ich Mutter wurde, arbeitete ich dort im Schichtbetrieb einer Kleiderfirma. Schichtende bedeutete für Frauen damals aber nicht Feierabend, sondern Haushalt organisieren, Kinder betreuen, sich um die Eltern kümmern.

Als in Kroatien dann die Wirtschaft zusammenbrach und Krieg herrschte, stand Ende 1991 für meinen Mann und mich fest: Wir wandern aus. In die Schweiz. Hier war klar: drei Kinder, ein Einkommen? Das reicht nicht.

Unsere niedrigen Löhne sprengten das Versorgermodell, das wir lebten, und machten aus uns ein finanziell gleichberechtigteres Paar. Das tat uns gut, hatte aber seinen Preis.»

Heute ...

«... spreche ich Ungerechtigkeiten an, und lächle sie nicht mehr weg. ‹Warum sind Sie denn in die Schweiz gekommen, wenn’s Ihnen hier nicht passt?›, sagte einst eine Kollegin, die mich im Restaurant einarbeiten sollte.

Dabei hatte ich mich gar nicht beklagt. Ich wunderte mich nur über die hohen Schulabschlüsse der anderen ausländischen Mitarbeiterinnen und die Lohnunterschiede zwischen Mitarbeitern, die die gleiche Arbeit verrichteten.

Heute denke ich: Ich hätte mich nicht wundern sollen, sondern beklagen. Aber ich fühlte mich fremd. Ich hatte den Mut nicht. Ich bin froh, dass meine Kinder sich heute zu wehren wissen.»

Rosemarie Gabathuler, Psychiaterin

Porträt-Illustration: eine Frau, im Hintergrund sind streikende Frauen.
Legende: Rosemarie Gabathuler (65), Psychiaterin und Psychotherapeutin aus Stäfa. SRF / Cecilia Bozzoli

Damals ...

«... war ich Mutter zweier Kinder und Hausfrau, während mein Partner arbeitete. Meine erste Tochter kam im letzten Jahr meines Medizinstudiums zur Welt.

Danach blieb ich zuhause und schrieb meine Dissertation. Ich genoss die Zeit mit meiner Tochter und wünschte mir ein zweites Kind. Trotzdem suchte ich nach einer Stelle.

Es war zäh. Bei Vorstellungsgesprächen stiess eine junge Mutter auf wenig Begeisterung. Die Chefärzte dachten, ich sei bald wieder weg. Einer sagte, er wolle nicht die Karriere eines jungen Mannes behindern, indem er mir die Stelle gebe. Eine Chefärztin vertröstete mich: ‹Sie kriegen zwar die Stelle nicht, aber mit Ihrem Kind haben Sie ja auch etwas Schönes.›

Die Ärzteschaft war damals eine konservative Gilde. Es gab viele Vorbehalte gegenüber berufstätigen Müttern und wenig Teilzeitstellen. Nach über zehn Jahren Pause nahm ich einen neuen Anlauf. Aus ökonomischen Gründen: Die befristete Stelle meines Partners lief aus.

Später haben wir beide gearbeitet. Bei der Betreuung unserer drei Töchter halfen die Grosseltern und Bekannte. Eine Krippe gab es nur im Nachbardorf.»

Heute ...

«... ärgere ich mich, dass immer noch die Mütter zuhause bleiben, wenn ein Kind krank ist. Oft sind wir innerlich konservativer, als wir es uns eingestehen.

Während meiner Zeit als Hausfrau sagte mir eine Frau: ‹Sie haben Potenzial, das Sie nicht nutzen.› Heute wird als selbstverständlich betrachtet, dass man als Mutter wieder in den Beruf einsteigt. Ich finde das toll, aber es sollte kein Zwang sein. Ich wünsche mir mehr Verständnis und Wahlfreiheit – ob beim Berufseinstieg oder beim Rentenalter.

Ich selbst war eine ‹Langstreckenläuferin›: Alles ging langsamer als bei anderen. Aber stetig vorwärts.»

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