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Der Krieg ist aus! Seelennahrung und ideologische Waffe: Musik im Zweiten Weltkrieg

Balsam für die Seele und süsses Gift der Propaganda: Im Zweiten Weltkrieg war die Musik ein mächtiges Instrument der Propaganda. Wie die Musik, die keine Moral besitzt, zu einem unmoralischen Instrument werden konnte, zeigt der Musikwissenschaftler Patrick Bade in seinem Buch.

Wer die Zeit des Zweiten Weltkrieges miterlebt hat, erzählt neben all dem Leid, Tod und Zerstörung immer auch von einer bestimmten Musik, einem musikalischen Moment, das absolut prägend war.

Buchhinweis

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Patrick Bade: «Music Wars 1937–1945. Propaganda, Götterfunken, Swing: Musik im Zweiten Weltkrieg», Laika Verlag 2015. Das Buch erscheint am 9.6.2015.

So kennt jeder Deutsche der Kriegsgeneration Zarah Leanders «Ich weiss, es wird einmal ein Wunder geschehen» und den Schmachtfetzen von Lale Andersen: Sie stand draussen vor der Kaserne an der Laterne, «Lili Marleen», die berühmteste Prostituierte des Zweiten Weltkrieges, eine sentimentale Kunstfigur und ungewollte Ikone der Wehrmachtspropaganda.

Die rührselige «Dirnen-Schnulze» führt direkt in die Gefühlswelt der Musikpropaganda des Zweiten Weltkrieges.

Seelennahrung und ideologische Waffe

Der englische Musikwissenschaftler Patrick Bade beschreibt in seiner Kulturgeschichte «Music Wars 1937-1945» das musikalische Leben unmittelbar vor und während des Zweiten Weltkrieges: Wie wurde Musik zur Seelennahrung für die geschundene Bevölkerung, gleichzeitig staatlich missbraucht und als ideologische Waffe eingesetzt und wuchtig inszeniert?

Die Grenze verläuft im Ungefähren, da oft ein und dieselbe Musik von den Achsenmächten und den Alliierten für sich reklamiert wurde. Die Kriegsschnulze «Lili Marleen» begeisterte die Engländer genauso wie deutsche Landser, die ab 1941 allabendlich über den Soldatensender Belgrad mit dem Rührstück für einen Moment zur Ruhe kamen. Die Tatsache, dass die Sängerin Andersen später bei den Nazis in Ungnade fiel, ist ein weiteres Kapitel der Musikgeschichte des Zweiten Weltkrieges.

Beethoven als Jingle der BBC

Beethoven und der Morse-Code

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Die BBC verwendete im Zweiten Weltkrieg den Buchstaben «V» für Victory im Morse-Alphabet (···—) als Jingle. Dieser Morse-Code entspricht dem Kopfmotiv von Beethovens 5. Sinfonie («Ta Ta Ta Taaa»), das die BBC als Erkennungszeichen ihres Programmes auch in besetzte Länder ausstrahlte.

Seltsame Blüten trieb auch der Kampf um die Deutungshoheit in der klassischen Musik. Letztlich zugunsten der Alliierten verlief der Kampf um Ludwig van Beethoven. Der Komponist wurde von den Nationalsozialisten zwar vollmundig als klassisches Genie vereinnahmt, aber ausgerechnet die charismatischen Anfangsnoten seiner 5. Symphonie avancierten als Paukensignal der BBC-Senderkennung zum klingenden Fanal des Widerstandes gegen die Deutschen.

Mit Patrick Bades Buch blicken wir in das musikalische Potpourri aus Geniewahn und schlichter Alltagsbewältigung, erleben den Horror der Lagermusik und böser Propaganda. Erhellend sind vor allem die Geschichten über das infame Spiel mit der Hetze.

Eines der berüchtigtsten deutschen Lieder war Norbert Schultzes «Bomben auf Engeland», ein Hetzlied, das der Lili-Marleen-Komponist in seiner Autobiographie 55 Jahre nach Kriegsende bereute: «Wenn ich das Lied heute wieder höre, gibt es mir jedes Mal einen Stich ins Herz: ‹Was? Das hast du komponiert?› Das peinigt mich dann oft tagelang und lässt mich nicht schlafen, vor Schrecken und Scham – heute noch.»

Der Soundtrack des Dritten Reichs

Mit der deutschen Kapitulation 1945 endete allerdings nicht der Krieg mit und um die Musik: Nach dem Zweiten Weltkrieg waren vor allem die Opern Richard Wagners verpönt, die als schnöder Soundtrack des Dritten Reiches empfunden wurden.

Doch nicht nur Wagners Opern, Lale Andersen oder Zarah Leander galten als Nazi-Musik, auch andere durch den Fleischwolf der Propaganda gedrehte Musik war für Jahrzehnte von der Bildfläche verschwunden, darunter «Les Préludes» von Franz Liszt. Für die Kriegsgeneration waren die dröhnenden Fanfaren dieser mächtigen Musik untrennbar mit Kriegsberichten der «Deutschen Wochenschau» verknüpft.

Unzählige Details und Anekdoten der Music Wars berühren und transportieren einmal mehr die schlichte Erkenntnis, dass Musik an sich eben keine Moral besitzt, aber in den Händen von raffinierten Verbrechern zu einem unmoralischen Instrument werden konnte. Rassistisch, banal und sentimental zugleich. Eine hoch brisante Mixtur.

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