Zum Inhalt springen

Header

Audio
Das fotografische Vermächtnis von «Ärzte ohne Grenzen»
Aus Kultur-Aktualität vom 04.05.2022. Bild: Enri Canaj / Magnum Photos
abspielen. Laufzeit 3 Minuten 42 Sekunden.
Inhalt

Fotos von «Ärzte ohne Grenzen» Bilder des Schreckens, die nie schreien

Leid im Blick – fernab von Sensationsgier: Eine Ausstellung in Zürich dokumentiert die Zusammenarbeit von Médecins Sans Frontières mit der Fotoagentur Magnum.

Seit ihrer Gründung hat die Organisation «Médecins sans Frontières» eine besondere Beziehung zur Fotografie, sagt Romano Zerbini, Leiter der Photobastei Zürich: «Bei Ärzte ohne Grenzen geht es darum, nicht nur zu helfen, sondern auch zu berichten und Missstände anzuklagen.»

Vor 50 Jahren brachen französische Ärzte, die für das «Rote Kreuz» in Biafra arbeiteten, das Schweigen, zu dem sie im Namen der Neutralität verpflichtet waren. Zusammen mit Journalisten gründeten sie «Ärzte ohne Grenzen» nach dem Grundsatz: Die einen leisten Hilfe, die anderen legen Zeugnis ab.

Die Geschichte der Zusammenarbeit mit der Pariser Fotoagentur «Magnum» dokumentiert nun eine Ausstellung, die beide Organisationen gemeinsam kuratiert haben.

Menschen bei der Essensausgabe in einem Flüchtlingslager.
Legende: Eine halbe Million Menschen verhungerten während der Dürre 1983 und 1984 in Äthiopien. Das Foto eines Flüchtlingslagers zeigt die Menschen bei der Essensausgabe. Stuart Franklin / Magnum Photo

Spielraum für Betrachtung

Ein Rückblick auf die Kriege und Krisen des letzten halben Jahrhunderts könnte schwer erträglich sein. Doch «Magnum» steht nicht für schreiende Titelbilder: «Die Stärke ihrer Arbeit liegt darin, dass sie andere Bilder und Geschichten produzieren, als wir es aus der Tagespresse kennen», sagt Romano Zerbini.

Die Kunst ihrer Fotografinnen und Fotografen besteht darin, Blickwinkel zu finden, die Spielraum für die Betrachtung lassen. Auf einer Fotografie aus Srebrenica etwa, Schauplatz eines furchtbaren Massakers während des Bosnienkriegs, sind nur zwei leere Stiefel auf einem Waldboden zu sehen. Darum liegt verwelktes Laub, kein Zeichen von Leben.

Geflüchtete sitzen auf der strasse.
Legende: 2020 legte ein Feuer den Grossteil des Flüchtlingslagers auf Lesbos in Schutt und Asche. Viele der Bewohnerinnen und Bewohner mussten nächtelang ohne Dach über dem Kopf schlafen. Enri Canaj / Magnum Photos

Fotografie zwischen Sensation und Sensibilität

Es bleibt eine Gratwanderung, das Leid anderer durch eine Linse zu betrachten, ohne dabei die Sensationslust zu bedienen. Und die Aufgabe wird nicht einfacher: Seit die Fotoagentur «Magnum» gegründet wurde, hat sich viel verändert.

«Wir haben nicht mehr die ikonischen Bilder, die wir aus den 1950er und 1960er-Jahren kennen. Damals konnten die Kanäle noch kontrolliert werden», sagt Romano Zerbini: «Heute stehen wir vor einer Bilderflut. Wenn wir an die Ukraine denken, bekommen wir die Bilder der Leute vor Ort direkt von ihren Handys.»

Ein ummantelter Mann in der Wüste.
Legende: Die grosse Hungersnot in den 1980er-Jahren zwang tausende Menschen zur Flucht – durch die Wüste Äthiopiens. Chris Steele-Perkins / Magnum Photos

Wie können Fotografen heute Missstände dokumentieren, ohne auf das Schockprinzip der Klick-Ökonomie zu setzen? Der zweite Teil der Ausstellung zeigt unterschiedliche Zugänge in sechs aktuellen Bild-Reportagen.

Die Bilder wollen aufklären, ohne zu empören

Fast wie Gemälde wirken Newsha Tavakolians Porträts von vertriebenen Frauen aus dem Kongo. Sie halten ihre Kinder im Arm wie eine Pietà, der Schmerz in ihren Augen ist schwer auszuhalten.

Nicht inszeniert scheinen hingegen die Bilder von Enri Canaj aus einem griechischen Flüchtlingslager, die sich erst im Zusammenspiel als Serie erschliessen: Mitten im staubigen Nirgendwo schläft ein Kind auf dem Boden: als Kopfkissen, ein Stein. Das Bild daneben zeigt eine Familie von hinten am Strand. Es könnte ein Urlausfoto sein, wenn nicht alle bis zu den Bäuchen im Wasser sitzen würden, in voller Bekleidung, den Blick in die Ferne gerichtet.

«Es ist beinahe ein Kunstbild, das dem Betrachter die Interpretation der Geschichte überlässt, eingefügt in einen hochdramatischen Kontext», erzählt Romano Zerbini.

Es sind Bilder, die im Gedächtnis bleiben. Eine lohnende Ausstellung über Fotografie, die aufklären will, ohne auf schnelle Empörung zu setzen.

Ausstellungshinweis

Box aufklappen Box zuklappen

Die Ausstellung «Augenzeugen: Ärzte ohne Grenzen und Magnum: 50 Jahre im Einsatz» in der Zürcher Photobastei ist noch bis 29. Mai 2022 geöffnet.

Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Aktualität, 04.05.2022, 17:20 Uhr;

Meistgelesene Artikel