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Nachruf Dank ihm wurden Gemälde zu Geschichten: John Berger ist tot

Der britische Autor, Kunstkritiker und Maler John Berger ist gestorben. Er war ein Pionier in der Kunst des Sehens.

Augen wie Quellwasser, ein schlohweisser Haarschopf, ein warmes Gesicht mit Furchen, wie von einem guten Steinmetz geformt, und die sonore Stimme eines Baritons: John Berger war ein herausragender Schriftsteller, Künstler, Kunstkritiker, Kunsthistoriker und Dichter.

Filmhinweis

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Anlässlich des Todes von John Berger wiederholen wir «John Berger oder die Kunst des Sehens». Den Film von Cordelia Dvorák können Sie in der «Sternstunde Kunst», am 08. Januar 2017, 11:55 Uhr auf SRF 1 sehen.

Ein profilierter Literat und Intellektueller, dessen Bücher auf der ganzen Welt übersetzt wurden. Nun ist das britische Multitalent im Alter von 90 Jahren gestorben.

Ein Leben voller Schaffenslust

Seine Schaffenslust erhielt er sich bis zuletzt, bis ins hohe Alter. Wie Gemälde zu Erzählungen werden und Geschichten sich in Bilder verwandeln – kaum jemand kann einem das so nahebringen wie John Berger. Die Natur war seine Lehrerin, in ihr versucht er zu lesen wie in einem Buch.

Prägend für eine ganze Generation

Denn Berger war ein passionierter Beobachter und Entdecker. Seine augenöffnende Beobachtungsgabe und seine unkonventionelle Art über Kunst nachzudenken wurden in den 1970er-Jahren durch die legendäre BBC-Serie «Ways of Seeing» prägend für eine ganze Generation.

Ein Porträt von John Berger.
Legende: Mit seinem Entwicklungsroman «G.», an dem er fünf Jahre gearbeitet hatte, gewann John Berger 1972 den Booker Prize. imago/Leemage

Darin entschlüsselte Berger, dass die Betrachtungen von Gemälden nicht so spontan und natürlich verlaufen, wie man gemeinhin glaubt. Zumal ein Grossteil unseres Sehens durch Gewohnheiten und Konventionen bestimmt sei.

Marxistische Prinzipien

Aus der Serie, aber auch aus seinen politischen Essays und Kunstwerken, wird klar: Berger hatte einen kritischen und soziologisch geprägten Zugang zur Welt. Nicht zuletzt deswegen kann er zu den eindringlichsten Stimmen Europas gezählt werden. Als Künstler ist ein solcher Status eine Rarität.

Nebst soziologisch interessierten Studien verfasst Berger auch Gedichte und Prosa. So erhielt er 1972 für seinen Roman «G.» den renommierten britischen Booker Prize. Woraufhin Berger unkonventionellerweise die eine Hälfte seines Preisgeldes an die Black Panthers spendete, und damit ein Statement für seine marxistischen Prinzipien machte.

Die andere Hälfte nutzte er um auszuwandern. Fortan lebte er in den französischen Alpen oberhalb von Genf, im Bergbauerndorf Quincy, wo auch viele seiner wichtigsten Werke entstanden.

Ein zynischer Scherz

Als genuiner Künstler war das Sehen Bergers grosses Lebensthema. Im Zentrum seiner Arbeit stand stets das betrachtende Auge.

So scheint es wie ein zynischer Scherz des Lebens, dass sich Berger in den letzten Jahren durch eine Graue-Star-Erkrankung immer mehr «wie in Gemälden von Jan Vermeer hineinversetzt fühlte, wo alles mit einem Tau aus Licht belegt ist» – wie er es selbst im Film «John Berger oder die Kunst des Sehens» von Cordelia Dvorák beschreiben hat.

Durch Bergers Linse

Berger hat bewiesen, dass er aus der Not eine Tugend machen kann: Zusammen mit seinem Freund, dem türkischen Zeichner Selçuk Demirel, gestaltete er 2014 ein Buch zum «Wunder des Sehens», wo er den Moment nach der geglückten Augenoperation als «Wiedergeburt des Sehens» beschreibt.

Mit kindlicher Faszinationsgabe vermochte er dem Zuschauer quasi durch seine Linse das Gefühl vermitteln, wie es ist, mit ‹neuen Augen› die Vielfalt der Welt wiederzuentdecken.

Als Künstler war Berger nachdenklich, spitzbübisch, aber vor allem auch rebellisch. Dies wundert kaum, war doch Caravaggio sein Lieblings-Künstlerleben, weil dieser stets ein Rebell blieb.

Zeichnen als Gebet

Die Entdeckungslust Bergers war es denn auch, die ihn sein ganzes Leben lang den Zeichenstift in der Hand behalten liess. Denn Zeichnen sei, so seine Überzeugung, eine wunderbare Form, die unendliche Komplexität unserer natürlichen Umgebung zu erforschen.

Der Prozess des Zeichnens war Bergers Art des Gebets und der Vereinigung mit der Natur, in welcher er wie in einem Buch zu lesen versucht – so beschrieb er es in einem Interview mit der «Zeit».

Ein Atelier in Paris

Seit dem Tod seiner Frau Beverly, die ihn in seinem künstlerischen Arbeiten stets begleitete, hat sich sein Schaffensschwerpunkt nach Paris verschoben. In einem Atelier, das so von Pflanzen umwachsen ist, dass es überhaupt nicht aussieht, als wäre es in einer Grossstadt, konnte er sich weiterhin seinen Naturbeobachtungen hingeben.

In seiner Wohnung in einem Pariser Vorort ist Berger nun nach längerer Krankheit auch verstorben, wie ein Freund der Familie mitteilte.

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