Sie soll den grossen Auftritt geliebt haben. Als die Hamburger Kunsthalle für die erste westliche Retrospektive über Geta Brătescus Werk 2016 einen Film über die Künstlerin drehte, schäkerte die Rumänin entzückt mit den Kameraleuten. Auch wenn sie da schon 90 Jahre alt war.
Kunst ist ein ernstes Spiel
Auch für das berühmte Porträt «Lady Oliver in Traveling Costume» inszenierte sich Brătescu lust- und humorvoll. Wie eine Ausserirdische blickt sie entrückt in die Ferne, geschmückt mit etwas, das sich bei näherem Hinsehen als uralte Schreibmaschine herausstellt.
Ihr Metier betrieb die Künstlerin spielerisch und ernst zugleich. Und so heisst die eben eröffnete, erste Schweizer Überblicksausstellung über ihr Werk in St. Gallen denn auch: «L’art c’est un jeu sérieux» – nach einem Zitat der Künstlerin aus einem Interview mit Brigitte Kölle, der Kuratorin der Hamburger Retrospektive.
Späte Entdeckung
Geta Brătescu ist 2018 gestorben. Während sie in Rumänien bereits in den 1970er-Jahren als eine der wichtigsten Gegenwartskünstlerinnen galt, schaffte sie den Durchbruch im Westen erst lange nach der Wende.
Nach der Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle gestaltete sie 2017 für die Biennale in Venedig den rumänischen Pavillon und zeigte im Rahmen einer eindrücklichen Retrospektive die Sprengkraft ihres künstlerischen Œuvres.
Nicht unerheblich für die späte Entdeckung von Geta Brătescu war, dass sie bei einer grossen Galerie ins Programm aufgenommen wurde. Die Schweizer Galerie Hauser & Wirth, die international stark ist, vertritt den Nachlass. Und die Preise für Arbeiten von Brătescu kletterten in die Höhe.
Stift und Papier
Das überrascht, denn Geta Brătescus Kunst ist leise. Sie liess sich als Künstlerin nicht festlegen, schuf Objekte, Collagen, Fotos, Filme. Das Herz ihres Werks aber ist die Zeichnung.
Sie kam mit dem Einfachsten aus und schuf atemberaubende Kunst, zeichnete Gegenständliches, Gesichter, Frauen, Tiere oder abstrakte Kompositionen. Und immer wieder setzte Brătescu Kunst-Traditionen fort: Sie zeichnete und schrieb wie die Surrealisten mit geschlossenen Augen oder parodierte konstruktivistische Konstruktionen.
Wunder und Witz der Zeichnung
Einblick in ihre Arbeit gewährte sie mit dem Video «The Line» (2014): Zu sehen sind die mageren Hände einer alten Dame, die geübt einen riesigen Filz-Marker halten.
Brătescu zeichnet rasch und entscheidet blitzschnell: Das ist was, das ist nichts. Und ebenso rasch erkennen die Betrachterinnen und Betrachter in Punkten und Strichen zum Beispiel ein Gesicht oder einen Esel.
Brătescus Witz ist in fast allen Werken spürbar. Ob sie nun zeichnet oder nach dem Fall der Mauer mit 40 schwarzen Blättern an 40 Jahre Kommunismus erinnert.
Wie viele andere Künstlerinnen ist auch Geta Brătescu erst «entdeckt» worden, als ihr Lebenswerk vorlag. Sie hat sich durchgebissen und kontinuierlich weitergearbeitet, auch wenn die internationale Aufmerksamkeit lange ausblieb. Kunst ist eben ein sehr ernstes Spiel.