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Illustrierte Autobiografie Risiken und Nebenwirkungen: Die Wanderjahre von Wim Wenders

400 Fotos – und Geschichten, die besser sind als manches Drehbuch: Wim Wenders nimmt uns in seinem neuen Buch «Sofort Bilder» mit auf einen Roadtrip durch seine Anfangszeit als Regisseur.

«Annie» steht auf dem Zettel, dazu eine Telefonnummer. Es ist 1973, Wim Wenders sitzt alleine im New Yorker Szeneclub CBGB, sein aktuelles Filmprojekt ein Scherbenhaufen, als ihm eine unbekannte junge Frau einen Zettel zuschiebt.

Wer ist das? Wenders weiss es nicht. Aber er wird noch staunen – wie so oft in diesen Jahren.

Wim Wenders. Courtesy Deutsches Filminstitut Frankfurt a.M.
Legende: Roadtrips waren für Wim Wenders in den 70ern an der Tagesordnung: Im Valley of the Gods, Utah, 1977. Wim Wenders. Courtesy Deutsches Filminstitut Frankfurt a.M.

Der unverstellte Blick

Geschichten wie diese erzählt uns Wim Wenders in seinem neuen Buch «Sofort Bilder». Es ist eine Art illustrierte Autobiografie: Ein Trip durch die Entwicklungsjahre eines jungen Regisseurs aus Düsseldorf, begleitet von rund 400 seiner Polaroid-Fotos.

«Die Siebzigerjahre waren eine Epoche in meinem Leben, in der ich sehr viel zum ersten Mal gemacht habe», schreibt Wenders rückblickend. Entsprechend unverstellt, ja unbekümmert ist sein fotografischer Blick.

Ein verschwommenes Bild von Menschen auf der Strasse in einer Stadt.
Legende: Das erste Mal Amerika: Eine Parade in Manhattan, 1972. Wim Wenders. Courtesy Wim Wenders Foundation

Hinweise zum Thema

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  • Fotoband: Wim Wenders. «Sofort Bilder.» Schirmer/Mosel, 2017.

Als Betrachter wird man unmittelbar Teil des Geschehens. Wacht zum ersten Mal mit Wim Wenders in New York auf. Blickt mit ihm auf Amerika. Das Fernsehen! McDonalds! Und da, Sunset Boulevard!

Schnappschüsse – und mehr

Alles hält der junge Wenders fotografisch fest: Strassenszenen, Hochhäuser, Ketchup-Flaschen, Blicke aus dem Flugzeug, sich selbst.

Es ist ein bisschen so, als würde man die Facebook-Timeline eines Bekannten durchscrollen. Ein Haufen eilig fabrizierter Schnappschüsse – wäre da nicht ab und an ein kleines Glanzstück, an dem wir hängen bleiben.

Durch die Brillengläser sieht man die verschwommene Skyline einer Stadt.
Legende: «Nichts grossartig ‹Intellektuelles›, eher affektiv, vielleicht auch ein bisschen töricht»: Wenders über Polaroids. Wim Wenders. Courtesy Wim Wenders Foundation

Notizen eines Künstlers

Nebst spontanen Aufnahmen hält Wenders immer wieder mögliche Drehorte fest: Strände an Amerikas Ostküste zum Beispiel (für «Der Scharlachrote Buchstabe», 1973). Oder, zurück in Deutschland, dutzende heruntergekommene Kinos an der deutsch-tschechischen Grenze (für «Im Lauf der Zeit», 1976).

«Polaroids zu machen war Teil eines Vorgangs des ‹Besitzergreifens›, wie die Skizzen eines Malers oder die Notizen eines Schriftstellers», schreibt er.

«Sofort Bilder» wirkt denn auch wie ein Notizbuch eines Künstlers: faszinierend, aber manchmal abstrakt. Ein Glück, wenn der Künstler nicht mit Anekdoten dazu geizt.

Ein Mann mit Cowboy-Hut und Jeans-Jacke hält eine Zigarette in der Hand.
Legende: Prügelte sich mit Schauspieler-Kollegen Bruno Ganz blutig: Dennis Hopper, 1976. Wim Wenders. Courtesy Deutsches Filminstitut Frankfurt a.M.

Heulattacke auf dem Pannenstreifen

Etwa jene, als ihm Regisseur Sam Fuller beim ausgedehnten «jüdischen Frühstück» die Leviten liest. Oder Dennis Hopper, den er – direkt nach dem Dreh zu «Apocalypse Now» – völlig zugedröhnt am Hamburger Flughafen abholen muss. Und wie er selbst auf einem Pannenstreifen Rotz und Wasser heult, als er im Radio erfährt: John Lennon ist tot.

Wie seine Bilder drängen sich auch Wenders Geschichten nicht auf. Er streut sie beiläufig ein – mit gerade so viel Pathos, wie es gut erzählte Geschichten eben brauchen. «Sofort Bilder» ist im besten Sinn unaufgeregt.

Verschneite Strasse mit einer Tankstelle auf dem Land.
Legende: «Es war Anfang März, das Wetter war eklig.» Unterwegs in Neu-England, 1972 Wim Wenders. Courtesy Deutsches Filminstitut Frankfurt a.M.

Nicht ganz so unaufgeregt ist die zweite Begegnung mit Annie, der Unbekannten aus dem New Yorker Club. Mehr durch Zufall besucht er sie ein paar Wochen später in San Francisco. Sie ist Fotografin. Vielbeschäftigt und unter Strom. Ihr voller Name? Annie Leibovitz, dereinst eine der berühmtesten Fotografinnen unserer Zeit.

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