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Schweizerin in Ägypten «Zeitgenössische Kunst in Kairo? Ein Alien»

Andrea Thal leitet in Kairo einen Kulturraum für Kunst und Workshops – eine Arbeit, die auch gefährlich sein kann.

Das Contemporary Image Collective, kurz CIC, ist ein einzigartiger Ort in Ägypten. Der Kunstraum liegt mitten im geschäftigen Downtown Kairos, etwas nach hinten versetzt an einer verkehrsgeplagten Strasse.

Ein historischer Drahtseillift führt hinauf in den vierten Stock. Man schliesst die eiserne Lifttür hinter sich, betritt hohe Altbauräume und fühlt sich geborgen: Eine Bibliothek mit über 3000 Titeln, eine Sofaecke und eine Kaffeemaschine stehen hier jedem frei zur Verfügung. Gegen Entgelt auch die Dunkelkammer und weitere Fotolabore.

Nachmittags finden hier manchmal Workshops oder Diskussionen statt, abends Filmvorführungen. In der gegenüberliegenden Wohnung wird gerade die kommende Ausstellung vorbereitet.

Ein Raum mit Parkettboden, einem kleinen Tisch und einer Flipchart.
Legende: Eine Kunstoase mitten im geschäftigen Downtown Kairos: in den hohen Altbauräumen des CIC fühlt man sich geborgen. Contemporary Image Collective

Die künstlerische Leiterin dieses vielseitigen Kulturraums und beliebten Treffpunkts ist seit drei Jahren eine Schweizerin: Andrea Thal. Die 42-Jährige machte sich zuletzt in Zürich mit dem Projektraum «Les Complices» einen Namen und kuratierte 2011 einen wichtigen Teil des Schweizer Auftritts an der Kunstbiennale in Venedig.

Ein Alien erden

Jetzt möchte sie zeitgenössische Kunst einem breiteren ägyptischen Publikum schmackhaft machen. Denn zeitgenössische Kunst sei hier noch «ein Alien», wie sie lachend sagt.

Um dieses Alien zu erden, wählen Andrea Thal und ihr Team mit Vorliebe aktuelle Themen mit regionalem Bezug. Und sie arbeiten für ihre Ausstellungen nicht nur mit Künstlerinnen und Künstlern aus allen Sparten zusammen, sondern mit unterschiedlichsten Menschen aus allen Berufsfeldern.

Eine Frau hängt gerade ein Plakat an eine Pinnwand.
Legende: Andrea Thal möchte zeitgenössische Kunst einem breiteren ägyptischen Publikum schmackhaft machen. srf/Susanna Petrin

Mitarbeiter verhaftet, Computer beschlagnahmt

Beim kommenden Projekt zum Thema Wasser kann das ein Arbeiter sein, der einst den Assuan-Staudamm miterbaut hat oder ein Wissenschaftler, der Bewässerungssysteme erforscht. In Ägypten ist Wasser ein knappes, gefährdetes Gut und deshalb auch ein brisantes politisches Thema.

Wohl noch heikler war das Thema Inhaftierungen, an dem das CIC drei Jahre für eine umfangreiche Ausstellungsserie arbeitete. Damals kam es zu einer Polizeirazzia der Räumlichkeiten, bei der ein Mitarbeiter verhaftet und sämtliche Computer beschlagnahmt wurden. «Doch am Ende ging es gut aus, und wir wurden vor Gericht freigesprochen», sagt Andrea Thal.

Ein gefährlicher Job?

Hat sie nicht manchmal Angst? Ist ihre Arbeit nicht gefährlich in diesem repressiven Land, in dem der künstlerischen Freiheit Grenzen gesetzt sind?

«Manchmal ist diese Grenze nicht so klar», sagt Andrea Thal: «Wichtig ist zu lernen, dass es lokal eine Kultur gibt dafür, wie Dinge gesagt werden können, so dass sie eben nicht ganz direkt gesagt werden. Ich habe da viel von meinen Mitarbeitern gelernt.»

Provokation ist nicht das Ziel

Sie versuche, die Angst vor Ärger in den Hintergrund zu stellen. Denn nur so sei konzentriertes Arbeiten möglich. Es sei auch nicht das Ziel, maximal zu provozieren, sondern das Maximum aus einem bestimmten Thema herauszuholen.

Ganz frei sei man nirgendwo. In der Schweiz habe sie andere Einschränkungen erlebt, finanzieller Art etwa. Hier empfinde sie das weniger. Das CIC finanziere sich durch Einnahmen aus Dienstleistungen wie Drucken und projektbasiert via Kollaborationen mit unterschiedlichen Institutionen.

Suche nach neuen Räumen

Ein Ort wie das CIC ist wichtig für Kairo. Zwar blühte wenige Jahre vor dem Arabischen Frühling die junge Kunstszene Ägyptens auf, und das Interesse an ihr im Ausland wuchs. Doch seit dem Ende der letzten Revolution hat sich die Zahl der Räume für Kunstinteressierte und Kunstschaffende in Kairo wieder stark reduziert.

Geblieben sind neben dem CIC noch einige auf zeitgenössische Kunst spezialisierte Galerien und Kunsträume – am bekanntesten ist die Townhouse Gallery im Stadtzentrum. Ausserdem findet auf dem Gelände des Opernhauses jährlich eine Best-of-Schau ägyptischer Nachwuchskünstler statt. Eine junge Nachwuchsszene sucht sich erst allmählich wieder neue Räume. Viele junge Künstler gehen ins Ausland, wenn sie eine Möglichkeit bekommen.

Andrea Thal will bleiben. Sie fühlt sich wohl mitten in der Megalopolis Kairo. Die zeitgenössische Kunst mag in Ägypten noch ein Alien sein, die Schweizerin ist hier heimisch geworden.

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