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Sprayereien der 80er «Liebe statt Tränengas»

In den bewegten 80ern gehörten «Schmierereien» zur Tagesordnung – die Polizei führte fein säuberlich Buch darüber. Dieses Material erscheint jetzt in einem Fotoband.

Sogar mit international bekannten Künstlern beschäftigte sich die politische Abteilung der Zürcher Stadtpolizei: 1979 ertappte ein Zivilpolizist Harald Nägeli, den «Sprayer von Zürich», auf frischer Tat. Wegen Sachbeschädigung musste Nägeli eine hohe Busse bezahlen und sass neun Monate im Gefängnis.

Ein echter «Nägeli» an der Wand.
Legende: Ein echter «Nägeli» an der Wand. Stadtarchiv Zürich / Edition Patrick Frey, 2018

Schwarze Strichfiguren sprühte Nägeli in Zürich fast als einziger. Die Spraydosen der Stadt sorgten vor allem für Sprüche wie: «Zürcher, schmust mehr im Tram», «Nur tote Lehrer sind gute Lehrer», «Freiheit statt Freisinn» oder «Viva Chile, Morta Pinochet» – in eigenwilligem Spanisch. Oder «Mehr Männer mit Sex-Appeal» stand an einer Mauer bei der Universität.

An der Wand steht der gesprayte Satz: «Fuck You – Hihihihihii»
Legende: Gesprayte Beleidungen können auch mit einem Lachen unterlegt werden. Stadtarchiv Zürich / Edition Patrick Frey, 2018

«Liebe statt Tränengas»

Auf den Fotos des Kriminalkommissariats III aus den Jahren 1976 bis 89, die das Buch «Schmieren/Kleben» wiedergibt, sieht man öfters das Anarchistenzeichen, Parolen gegen die geplante Stadtautobahn, Slogans der Frauen- und der Anti-AKW-Bewegung.

Und ab 1980 für das Autonome Jugendzentrum, das AJZ: «AJZ statt NZZ». Besonders fantasievoll war auch der gesprayte Ein-Wort-Unsinn : «Brulp», «Barbadom», «Glax», «Salbs» und «Irox».

An der Wand steht: «Ihr Pöstler! Lest nicht immer unsere Postkarten.»
Legende: Die bewegten Jahre Zürichs waren geprägt von Überwachung – und vom Protest dagegen. Stadtarchiv Zürich / Edition Patrick Frey, 2018

Gesinnungsschnüffelei an der Tagesordnung

«Schmieren/Kleben» ist ein Zeitdokument der 1970er- und 1980er-Jahre. Die meist körnigen Schwarz-Weiss-Fotos und die maschinengeschriebenen Karteikarten verweisen auf eine Zeit, in der es in Parks verboten war, den Rasen zu betreten. In der das Kulturangebot karg war, die individuelle Freiheit sich erst Bahn zu brechen begann. Und in der Gesinnungsschnüffelei üblich war.

Audio
«Schmieren/Kleben»
aus Kultur-Aktualität vom 15.05.2018. Bild: Stadtarchiv Zürich / Edition Patrick Frey, 2018
abspielen. Laufzeit 4 Minuten 53 Sekunden.

Das Dadaistische sei auf vielen Fotos spürbar, schreibt Richard Wolff, bis vor wenigen Tagen Vorsteher des Sicherheitsdepartements der Stadt Zürich, in seinem Vorwort: Auf den Bildern kämen «Auflehnung, Spott, humoristische Selbstinszenierung und Trotz» zum Vorschein.

Auf der Wand geschrieben: «Beton macht immer no chrank!»
Legende: In den 1970er- und 1980er-Jahren begann sich die individuelle Freiheit erst Bahn zu brechen. Stadtarchiv Zürich / Edition Patrick Frey, 2018

Kontroverse Parolen an der Wand

Teilweise sind die Spray-Sprüche von einst heute noch so brisant – und manchmal so absurd, dass Polizeivorstand Wolff sich von gewissen Inhalten distanziert.

Er könne es nicht tolerieren, «wenn Angehörige von Religionen, ganze Berufsgruppen und Minderheiten auf Hauswänden beschimpft und beleidigt» würden, «wenn zu Gewalt aufgerufen» werde «oder Menschen angefeindet» würden.

Wohngemeinschaft statt revolutionäre Zelle

Dass die politische Polizei von damals auf dieses symbolische In-Besitz-Nehmen des öffentlichen Raumes reagierte, wirkt nicht erst heute übertrieben.

Die Parlamentarische Untersuchungskommission des Zürcher Gemeinderats, die die Tätigkeit des KKIII beurteilte, kam 1991 zum Schluss: «Wie die Akten zeigen, wurde (…) vieles vom Schweizer Staatsschutz als ‹revolutionäre Zelle› verdächtigt, was in Wirklichkeit manchmal nur eine Wohngemeinschaft war.»

An der Wand steht: «Anarchie»
Legende: Der heutige Nachrichtendienst der Zürcher Kantonspolizei kümmert sich nicht mehr um Sprayereien im öffentlichen Raum. Stadtarchiv Zürich / Edition Patrick Frey, 2018

Als politische Polizei wurde das KKIII der Stadtpolizei Zürich im Zuge der Fichenaffäre 1991 aufgelöst. Laut dem städtischen Sicherheitsdepartement bearbeitet die Stadtpolizei heute nur ab und zu Fälle für kantonale und Bundesbehörden.

Buchhinweis

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Philipp Anz, Jules Spinatsch, Viola Zimmermann (Hg.): «Schmieren / Kleben. Aus dem Archiv KKIII der Stadtpolizei Zürich 1976–1989». Edition Patrick Frey, 2018.

Bei der Zürcher Kantonspolizei hingegen sind über ein Dutzend Personen nachrichtendienstlich tätig, vor allem im Bereich Terrorismus und gewalttätiger Extremismus. Um Sprayereien kümmern sie sich nicht.

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