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Strittiges Urteil «Es gibt keine Beweise, dass die Grünbaum-Sammlung Raubkunst ist»

Es ist ein aufsehenerregendes Urteil, das der oberste Gerichtshof von New York gefällt hat: Zwei Kunstwerke von Egon Schiele sollen an die Erben des jüdischen Wiener Kabarettisten Fritz Grünbaum – der 1941 im Konzentrationslager Dachau starb – zurückgeben werden.

Die beiden Schiele-Werke «Frau mit schwarzer Schürze» und «Frau, das Gesicht verbergend» waren 2015 beim New Yorker Galeristen Richard Nagy beschlagnahmt worden.

Seitdem hat der Fall die New Yorker Gerichte beschäftigt. Der Anwalt der Grünbaum-Erben forderte – nun erfolgreich – die Rückgabe der Kunstwerke.

Ist dies eine späte Genugtuung für die Opferfamilie? Die Sache ist nicht so einfach – weiss SRF-Raubkunstexperte Oliver Meier, der sich seit längerem mit dem «Fall Grünbaum» beschäftigt.

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Oliver Meier über den Fall Grünbaum
aus Kultur-Aktualität vom 09.04.2018. Bild: SRF
abspielen. Laufzeit 4 Minuten 40 Sekunden.

SRF: Das Gerichtsurteil schlägt Wellen, die Siegerseite spricht von einem «monumentalen NS-Raubkunstfall», dem «wahrscheinlich wichtigsten» seit Jahrzehnten. Zu Recht?

Oliver Meier: Mit Superlativen sollte man vorsichtig sein. Doch die Auseinandersetzung um das Schicksal von Fritz Grünbaum und seiner Sammlung ist spektakulär, sie läuft seit zwanzig Jahren. Das jetzige Urteil aus New York kommt nicht nur überraschend, es ist auch brisant.

Oliver Meier

Oliver Meier

SRF Journalist

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Oliver Meier war langjähriger Ressortleiter Kultur bei der «BZ Berner Zeitung». Er ist Co-Autor des Buches «Der Gurlitt-Komplex. Bern und die Raubkunst, Link öffnet in einem neuen Fenster». Seit 2017 arbeitet er als Redaktor bei Radio SRF 2 Kultur.

Warum ist es ein brisantes Urteil?

In den letzten 20 Jahren gab es grosse Bemühungen, die Geschichte der Sammlung von Fritz Grünbaum mit mehreren hundert Werken aufzuklären. Museen in Österreich setzen Herkunftsforscher ein, staatliche Gremien verfassten Studien. Es gab mehrere Gerichtsverfahren, auch in den USA. Allesamt gingen zu Ungunsten der Grünbaum-Erben aus.

Bis heute gibt es keine Beweise dafür, dass die Grünbaum-Sammlung von den Nazis geraubt wurde.

Wahrscheinlich ist kein Fall so akribisch untersucht worden wie dieser. Aber: Bis heute gibt es keine eindeutigen Anhaltspunkte und schon gar keine Beweise dafür, dass seine Sammlung von den Nazis geraubt wurde.

Fritz Grünbaum starb im Konzentrationslager Dachau. Reicht dieses Opferschicksal nicht, um von Raubkunst zu sprechen?

Nein. Denn nach dem Krieg tauchte ein Grossteil der Werke aus der Sammlung bei der Schwägerin von Fritz Grünbaum auf. Die Schiele-Werke hat sie in den 1950er-Jahren dem Berner Kunsthändler Eberhard W. Kornfeld verkauft – übrigens auch die beiden Werke, die jetzt vor dem New Yorker Gericht verhandelt wurden.

Das Raubkunst-Etikett bleibt auch nach diesem Urteil sehr fragwürdig.

Kornfeld und weitere Kunsthändler wehren sich seit Jahren gegen das Raubkunst-Etikett, wenn es um Werke aus der Grünbaum-Sammlung geht, weil es ihnen das Geschäft vermiest.

Aber auch andere sind betroffen: Die Werke der Sammlung Grünbaum sind heute verstreut in aller Welt, in Museen, bei Kunsthändlern und Privatbesitzern. Wenn das Oberste New Yorker Gericht nun offiziell von Raubkunst spricht, ist das entsprechend brisant.

«Frau mit  schwarzer Schürze» von Egon Schiele.
Legende: «Frau mit schwarzer Schürze» von Egon Schiele. Büro für Genealogie

Wie begründet das Gericht denn sein Urteil?

Das ist das Überraschende: Das Gericht geht davon aus, dass die Ehefrau von Fritz Grünbaum gezwungen wurde, die Sammlung dem deutschen Staat zu überschreiben. Ob noch neue Dokumente aufgetaucht sind, die diese Vermutung bekräftigen, kann ich derzeit nicht beurteilen.

Aber die Frage bleibt: Wie kann man von Raubkunst sprechen, wenn doch die Werke nach dem Krieg innerhalb der Familie waren – eben bei Grünbaums Schwägerin? Das Raubkunst-Etikett bleibt für mich auch nach diesem Urteil sehr fragwürdig. Aber für die Vertreter der Grünbaum-Erben ist es ein grosser Erfolg. Und entsprechend wittern die Anwälte und Vertreter jetzt Morgenluft.

Was heisst das?

Der Vertreter der Grünbaum-Erben in Wien, ein gewisser Herbert Gruber, hat in einer Medienmitteilung Druck aufgesetzt: Er will, dass nun weitere Werke aus der Sammlung Grünbaum zurückgegeben werden, unter anderem solche aus der Wiener Albertina oder dem Leopold-Museum. Dabei haben sich mehrere staatliche Gremien in den letzten Jahren gegen eine Rückgabe ausgesprochen.

Und wie geht der Fall in New York weiter?

Das ist unklar. Laut der New York Times akzeptiert der Galerist Richard Nagy das Urteil nicht und will in Berufung gehen. Der «ewige Fall Grünbaum» geht also in die nächste Runde.

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