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Kunst Vom Underground zum Geschäftsmodell: Das Sprayer-Duo One Truth

Sie haben aus ihren Graffiti ein legales Kunst-Unternehmen gemacht: Pase und Dr. Drax alias One Truth. Geplant war das professionelle Graffiti-Unternehmen allerdings nicht. Doch mittlerweile folgt ein Auftrag auf den anderen. Unterwegs auf «Geschäftsreise» von Zürich nach Göteborg.

Michael Senn alias Pase, Sie sind gelernter Koch, und Tobias Senn alias Dr. Drax, Sie sind gelernter Bühnenbildner. Wie kamen Sie dazu, Sprayerprofis zu werden?

Dr. Drax: Ich habe schon als kleines Kind gerne und viel gezeichnet. In der Schule habe ich immer alle Zeichnungshefte vollgemalt. Als mir eine Spraydose in die Hände kam, hat es mich gepackt: Das Sprayen wurde neben meiner Arbeit als Bühnenbildner zu einem immer intensiveren Hobby – und mit der Zeit konnte ich meine Leidenschaft zum Beruf machen.

Über One Truth

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Das Künstlerkollektiv um Pase und Dr. Drax gibt es seit zehn Jahren. Die Brüder waren ursprünglich in der illegalen Street-Art-Szene unterwegs. Heute haben sie sich mit legaler Kunst einen internationalen Namen gemacht. Ihre Kunden sind grosse Firmen, aber auch die Stadt Zürich und die Kirche.

Pase: Ich war eher musikalisch begabt und kam erst durch das Sprayen zum Malen. Am Anfang waren wir beide autodidaktisch im Untergund tätig. Dann kam das Geschäft wie von alleine ins Rollen. Erst fragten uns Kollegen an, ob wir für sie malen würden – um eine Garage zu verschönern oder eine Wohnzimmerwand. Sie haben uns dafür die teuren Spraydosen bezahlt. Als mehr Anfragen kamen, begannen wir, fürs Sprayen Geld zu verlangen. Während meiner Kochlehre war mir auch schnell klar, dass mir dieser Beruf seelisch zu wenig gibt – das Graffitimalen wurde wichtiger als die Lehre. Die Familie war allerdings nicht begeistert und unsere Verwandten glaubten nicht an uns. Eigentlich glaubte gar niemand an uns.

Sie sind Brüder. Wie funktioniert Ihre Zusammenarbeit?

Pase: Wir sind als Brüder eng verbunden, haben viel gemeinsam erlebt. Wir sind zwar sehr verschieden, ergänzen uns aber gut: Ich mag lieber Abstraktes – Styles, Schriften, Kalligraphie – und ich bin für das Administrative in unserem Kleinunternehmen zuständig.

Dr. Drax: Ich entwerfe alle Figuren. Diese tätowiere ich auch.

Mittlerweile gehören grosse Firmen wie die UBS und BMW, die Stadt Zürich oder sogar die Kirche zu ihren Kunden. Gibt es Aufträge, die Sie ablehnen?

Pase: Wir waren schon immer Freigeister. Wenn es uns nicht gepasst hat, dann haben wir es nicht gemacht. Ein Logo von einem Brand zu machen zum Beispiel, das war uns zu langweilig. Früher gab es auch Anfragen für Pingus oder Mickey-Mäuse – solche Dinge haben wir abgelehnt.

Dr. Drax: Und Porträts malen wir nicht, die machen schon so viele andere Sprayer und alles sieht ähnlich aus. Wichtig am Graffiti ist eben auch, dass es einen Wiedererkennungseffekt hat. So merkt man: Aha, das ist von diesem Künstler. Man muss seinen eigenen Stil pushen. Meine Figuren tragen oft rot-weisse Ringelsocken. Das kommt aus meiner Kindheit, von den Zuckerstangen an der Chilbi. Man kann aus jedem Alltagsgegenstand eine Figur machen, wenn man genügend Phantasie hat.

Video
Ein One-Truth-Graffiti – schnell gemacht? (BlackOwlPictures)
Aus Kultur Extras vom 30.07.2014.
abspielen. Laufzeit 2 Minuten 27 Sekunden.

Heute beseelen Ihre Bilderwelten Hausfassaden von Zürich bis Berlin, Sie haben sich international einen Namen gemacht. Was hat sich für Sie persönlich verändert?

Dr. Drax: Früher war es so, dass man beim Sprayen Probleme mit der Polizei bekam. Alle sagten, wir sollten aufhören. Heute kommen sogar unsere früheren Lehrer ins Atelier, kaufen unsere Bilder und sind auf einmal mega stolz, dass sie uns kennen.

Pase: Es ist lustig, dass wir früher verfolgt wurden und heute für unsere Graffitis bezahlt werden. Ich habe kürzlich eine Busse gefunden, die ich mit 18 Jahren bekam, weil ich dabei erwischt wurde, wie ich einen Stromkasten mit einem «Tag» besprayt habe. Und nächstes Jahr machen wir für genau diese Gemeinde einen Workshop. Das ist schon widersprüchlich.

Sie sind auf einer Reise von Zürich über Deutschland nach Göteborg – auf verschiedenen Stationen dürfen sie legal freigegebene Wände bemalen. Welche Unterschiede stellen Sie in den verschiedenen Ländern fest?

Pase: Je konservativer das Land oder die Stadt, desto weniger legale Sprayflächen gibt es. In Berlin zum Beispiel wimmelt es von leeren, freigegebenen Flächen, da kann man sich als Künstler richtig ausleben. Ganz im Gegenteil zu München oder überhaupt zu Bayern. In der Schweiz ist es viel besser als noch vor zehn Jahren, und ich glaube, dass es in den nächsten zehn Jahren eine rasante Entwicklung geben wird.

Sie hinterlassen auf Ihrer Reise in Lörrach, Köln, Hamburg, Kopenhagen und Göteborg ihre grossflächigen Graffiti-Spuren. Doch Sprayarbeiten sind oft kurzlebig. Glauben Sie, dass Ihre Kunstwerke für die Nachwelt erhalten bleiben?

Pase: Ich denke, dass die Bilder nicht übersprayt werden. Denn unter Sprayern gibt es einen Ehrenkodex, solche Arbeiten nicht zu übermalen.

Dr. Drax: Grosse Bilder werden in der Regel in Ruhe gelassen: Und wenn man sieht, dass sich jemand Mühe gegeben hat, wird das respektiert.

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