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Kunst William Kentridge und die Nase von Gogol

Verspielt, universal, politisch – das ist die Arbeit des Künstlers William Kentridge. Virtuos versteht er es, ernste Themenkomplexe spielerisch und humorvoll zu umkreisen. Das Haus Konstruktiv in Zürich widmet dem Südafrikaner mit «The nose» die erste Schweizerische Einzelausstellung.

Eines Morgens kommt einem Beamten seine Nase abhanden. Verzweifelt sucht er nach ihr und als er sie endlich findet, muss er feststellen, dass sie die Uniform eines ihm höher gestellten Beamten trägt und sich strikte weigert, sich ihm wieder ins Gesicht zu setzen. Auch die Polizei kann ihm nicht helfen und die Nase führt ein immer eigenständigeres Leben, während der Beamte ihren Verlust nur schwer verkraftet. Eines Morgens allerdings wacht er auf und die Nase ist wieder an ihrem angestammten Platz.

Die aktuelle Kentridge-Ausstellung in Zürich dreht sich um die Geschichte: «The Nose» des russisch-ukrainischen Schriftstellers Nikolai Gogol aus dem Jahr 1836. Für Kentridge liefert sie gleich zwei Leitmotive: Die grundlegend politische Kritik an der geltenden Normalität und an absurden Hierarchien, sowie das menschlich-psychologische Motiv, das sich um einen Menschen dreht, der durch den Verlust der Nase aus seiner Gewohnheit und Geborgenheit gerissen wird.

Film, Theater, Bildende Kunst

Porträt vor Bild.
Legende: William Kentridge fing erst Ende 20 mit Zeichnen an. Marc Shoul

Dass William Kentridge die absurde Kurzgeschichte zur Inspirationsquelle für einen ganzen Werkzyklus nimmt, ist der Metropolitan Opera in New York zu verdanken. Sie betraute den Südafrikaner 2006 mit der Aufgabe, die auf Gogols Geschichte basierende, gleichnamige Oper von Dmitri Schostakowitsch zu inszenieren. Kentridge, der aus dem Theater und dem Film kommt und erst mit Ende 20 zu zeichnen begann, nahm diese Herausforderung gerne an. Bis es zur Opernaufführung 2010 kam, umkreiste der Künstler die Thematik auf seine ihm so eigene, spielerische Weise.

Und so ist als Nebenprodukt der Operninszenierung ein Werkkomplex entstanden, dessen Kern die achtteilige Videoinstallation «I am not me, the horse is not mine» bildet. Sie erzählt vom Russland der 1920er- und 1930er-Jahre, von der künstlerischen Sprache dieser Zeit, dem russischen Konstruktivismus und davon, wie die damals herrschende Aufbruchsstimmung und jegliche Freiheit mit der Machtergreifung Stalins 1927 jäh eine Ende nahmen.

Auf Pferden reitende Nasen

Die Installation ist im Haus Konstruktiv im ersten Raum zu sehen und bereitet die Besucherin fulminant auf die folgenden zwei Stockwerke vor. Denn die Räume in den oberen Etagen sind gefüllt mit Kohlezeichnungen, Bronzefiguren, Wandteppichen und Collagen von grossen Nasen, die auf Pferden reiten, heroisch und majestätisch. Kentridge animiert die Nase in einem Trickfilm, wie sie immer wieder eine Leiter hinaufsteigt und rückwärts wieder runterpurzelt. «Die Nase veranschaulicht ihr eigenes Streben und Scheitern und steht gleichzeitig für alle an der Parteispitze, die sich nach 1927 plötzlich gestürzt sahen», sagt Kentridge.

Ein politischer Geist

Ausstellungshinweis

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Die Ausstellung «William Kentridge – The Nose» ist im Haus Konstruktiv in Zürich noch bis am 6. September 2015 zu sehen.

Es scheint als könnte Kentridge gar nicht anders, als seinen politischen Geist in jedes einzelne seiner Werke einzuhauchen. Aufgewachsen in Südafrika als Sohn eines jüdischen Anwalts, der viele Schwarze während der Apartheid verteidigte, verspürte William Kentridge früh ein politisches Bewusstsein und einen drängenden Gerechtigkeitssinn.

Seine Arbeiten sind davon durchzogen, er verzichtet jedoch darauf, belehrend den Zeigefinger zu heben. Vielmehr zeigt uns Kentridge – oder Sabine Schaschl, die Kuratorin der Ausstellung – seinen Arbeitsprozess und legt sein Gedankengut vor uns aus. In der Hoffnung, dass sich jeder selber ein eigenes Bild der Realität – oder eben auch der Absurdität der Realität – zeichnen möge. Sei es nun die Realität in den 20er Jahren in Russland, diejenige im Südafrika seiner Kindheit und Jugend oder auch die heutige. Er greift Geschichtliches und Geschichten auf und schafft es mit ihrer Hilfe ganz viel über die heutige Gesellschaft zu erzählen.

Futter für Auge und Hirn

Die Strategie, im Haus Konstruktiv keine Übersichtsschau, sondern exemplarisch einen Werkzyklus zu zeigen, geht voll auf. Man kann sich einfühlen in Kentridges Art zu arbeiten, zu denken und zu konzipieren. Man erhält Einblick in seine prozesshaftes, künstlerisches Arbeiten und seinen spielerischen und humorvollen Zugang zu ernsten Themenkomplexen.

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