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Neuer Roman von Jens Steiner Auf dem Recyclinghof strandet aller Wahnsinn der Welt

Jens Steiners vierter Roman «Mein Leben als Hoffnungsträger» spielt auf einem Zürcher Recyclinghof: Eine hintersinnige Parabel auf die Widerwärtigkeiten unserer Welt.

«Es ist die Fülle der Waren, die die Leute besoffen macht», liest man in diesem Roman. Oder: «Das Schicksal hobelt und hobelt an jedem von uns und am Schluss sind wir alle gleich.» Und schliesslich: «Uns ekelt viel zu wenig vor dieser Welt. Ich wünschte, ich hätte die Kraft für eine regelrechte Ekelwut.»

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Legende: SRF/Lukas Mäder

Der Zürcher Autor Jens Steiner erhielt 2013 für «Carambole» den Schweizer Buchpreis.

Jens Steiner, Träger des Schweizer Buchpreises 2013, spart in seinem vierten Roman nicht mit markigen Sätzen.

Sie geben dem Buch jene direkte und kecke Unverfrorenheit, mit welcher es den Zustand der modernen Welt an den Pranger stellt: den Überfluss, die Konsumgesellschaft, die himmelschreiende Ungerechtigkeit, welche der Kapitalismus verursacht.

Schauplatz: Recyclinghof

So markig die Sprache, so akzentuiert ist die inhaltliche Ausstattung des Romans. Dies beginnt schon mit der Kulisse: Der Roman spielt auf einem Recyclinghof am Rande von Zürich.

Eingängig schildert Jens Steiner den täglichen Wahnsinn, der sich auf dem Gelände abspielt: Wie die Menschen mit ihren Autos Berge von Gerümpel anliefern, alte Möbel, Lampen, Spielzeug.

Ablass an der Müllpresse

Dabei gerät der Recyclinghof mehr und mehr zur Metapher: Zum Ort, wo der moderne Mensch Ballast abgibt und dabei Läuterung erfährt – das gute Gefühl, etwas weniger besitzen zu müssen.

Der Presscontainer wird zur modernen Kathedrale, wo es noch Ablass zu haben gibt, während in anderen Weltgegenden Hunger, Krieg, Diktatoren und andere Schrecknisse herrschen.

Bloss kein Hamster im Rad

Das Nebeneinander von Überfluss hier und unsäglichem menschlichem Leid dort seien «unübersehbar miteinander verwandt». Beides sei Ausdruck der Niedertracht, welche die Welt regiere. Dies ist die Überzeugung von Philipp, der Hauptfigur des Romans.

Er arbeitet auf dem Recyclinghof als Hilfskraft. Er ist ein Mittzwanziger, hat eine abgebrochene Berufslehre hinter sich, verspürt null Bock auf Karriere und Geld, und will nur etwas nicht sein: ein Hamster im Hamsterrad.

Dass er auf dem Recyclinghof überhaupt einer geregelten Arbeit nachgeht, ist mehr dem Zufall geschuldet: Der Chef dort, ein eingewanderter Deutscher namens Uwe, hat ihn beim Herumhängen an einer Tramhaltestelle aufgelesen und kurzerhand eingestellt.

Die Distanz der Einzelgängers

Für Uwe ist Philipp der Hoffnungsträger, verfügt der junge Mann doch über Intelligenz und auch handwerkliche Begabung. Er soll dereinst die Leitung auf dem Gelände übernehmen.

Philipp jedoch denkt nicht daran, irgendwelche Erwartungen zu erfüllen. Vielmehr blickt er aus der Distanz des Einzelgängers auf die alltägliche Groteske, die sich an seinem Arbeitsplatz abspielt.

Buchhinweis

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Jens Steiner: «Mein Leben als Hoffnungsträger», Arche, 2017.

Er erzählt davon in einer äusserst witzigen und leichtfüssigen Tonalität, die den ganzen Roman durchzieht – so tiefschürfend die Inhalte auch sind, um die es eigentlich geht. Philipps Humor, mit dem er aus seinem Alltag berichtet, ist ebenso schräg wie einnehmend. Er bewahrt den jungen Mann davor, trübsinnig zu werden.

«Die Laune nicht verderben lassen»

Tatsächlich gelingt es dem Schwerenöter Philipp am Ende dieses vielschichtigen und hinreissenden Romans, seinem Leben eine Wende zu geben: Er entschliesst sich, den Recyclinghof zu verlassen und zusammen mit einem Freund Bäume zu schneiden.

Wie es scheint, tut er dies aus purer Daseinsfreude und mit der Aussicht, niemandes Hoffnungsträger sein zu müssen. Schliesslich will er sich «die Laune nicht verderben lassen».

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