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Literatur Jonathan Lethem erzählt die Geschichte der amerikanischen Linken

Vom US-Kommunismus bis zur Occupy-Bewegung: In seinem neuen Roman «Der Garten der Dissidenten» lässt der Amerikaner Jonathan Lethem das linke Amerika des 20. Jahrhunderts wiederauferstehen. Auf seiner Bühne tummeln sich drei Generationen einer Patchworkfamilie.

An der Bühnenrampe dieser Tragikomödie steht Rose Zimmer. Nach ihrem Ausschluss aus der Kommunistischen Partei ist sie wie Mutter Courage ihre eigene Heldin der Arbeit. Sie ist im Kreis der Parteigenossen sowohl die Linientreue als auch die eigensinnige Abweichlerin. Rose Zimmer ist die selbsternannte Kontrollinstanz in «Sunnyside Gardens», dem grünen Vorzeigequartier in New Yorks Stadtteil Queens.

Über eine Zeitspanne von beinahe einem Jahrhundert thematisiert Jonathan Lethem in «Der Garten der Dissidenten» den US-Kommunismus, die Sympathisanten der Sandinisten, die der Gleichheit verpflichteten Quäker und schliesslich auch noch die Occupy-Bewegung. Das kann nur eher in die Breite gehen als in die Tiefe. Die dazu passende Form ist der Disput. Im Grunde ist dieser Roman im Kern ein fortlaufender Dialog, bei dem alle Beteiligten Recht haben wollen.

Siedlung linker Idealisten

Wandbild an einem Gebäude in Sunnyside, New York.
Legende: Wandbild an einem Gebäude in Sunnyside, New York. Wikimedia/Andy Lindgren

Am meisten Herzblut verliert Lethem für die Kommunisten. Exemplarisch sind dafür die Stammhalter Rose Angrush und Albert Zimmer. Sie hat ukrainische Wurzeln, er deutsche. Zimmer wird von der Partei schon Ende der 50er-Jahre als Spion in die DDR abgeschoben. Während Rose in New York bleibt. Um 1950 muss sie vor einem Ausschuss antreten, der sie, weil sie sich mit einem schwarzen Mann eingelassen hat, aus der Partei ausschliesst. Der Wortführer ist Sol Eaglin, der selbst einmal mit Rose liiert gewesen war: «Wie hast Du deinen Polizisten eigentlich kennengelernt, Rose?», fragt Eaglin die «Angeklagte».

Rose schiesst umgehend ihre Pfeile zurück: «Im Gegensatz zu Leuten, die sich nur im Moskau ihrer Träume aufhalten, bin ich stolze Bürgerin einer Gegend, in der Italiener, Iren, Neger, Juden... leben.» Er lächelt nur. «Wenn ich in Queens unterwegs bin, schweben meine Füsse nicht über den Gehwegen. Meine Überzeugungen entbinden mich nicht von der Verantwortung gegenüber den armen entwürdigten Menschen vor meiner Nase.» Rose Zimmer residiert also im Herzen dieses Romans und in «Sunnyside Gardens», einer Siedlung linker Idealisten verschiedenster Couleur.

Keine lineare Chronologie

Buchhinweis

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Jonathan Lethem: «Der Garten der Dissidenten». Tropen Verlag, 2014.

Die Zeitebenen überlappen sich. Das Patchwork fügt sich jedoch am Ende zu einem überschaubaren Tableau einer linken Familiengeschichte. Geschichte wird in der Regel von Siegern geschrieben. Lethem versucht, Gegensteuer zu geben mit der Erzählung von einem amerikanischen Kommunismus, der wohl marginal, aber nicht inexistent war. Zusammen mit Rose, ihrer exaltierten, verführerischen Tochter Miriam, Verwandten und zugewandten Orten eilen wir durch die Zeit.

Den Endpunkt markiert Roses resignative Einsicht, dass «ein wahrer Kommunist am Ende allein dasteht.» Und Cousin Lenny formuliert Roses ideologische Bankrotterklärung. Sie habe versucht, die Lebensbedingungen für die Arbeiterklasse zu ändern, während ihre Tochter nur das Trinkwasser mit LSD anreichern möchte. Miriam wird später schon noch militanter. Sie geht zusammen mit ihrem Mann um 1980 als Freiwillige zu den Sandinisten nach Nicaragua, was beide mit dem Tod bezahlen.

Abwesenheit des Proletariats

Der New Yorker Autor Jonathan Lethem.
Legende: Der New Yorker Autor Jonathan Lethem. Keke Keukelaar

Arbeiter fehlen in Lethems Roman gänzlich. Es ist etwas befremdend, dass die Geschichte über eine Bewegung, die die Emanzipation des Proletariats anstrebte, dieses ausklammert. Das kann nur daran liegen, dass der amerikanische Sozialismus von der städtischen Intelligenz dominiert war. Den zweiten weissen Fleck hinterlässt der abgeschobene Albert Zimmer, von dessen Leben in der DDR man nichts erfährt. Gut zum Ausdruck kommt hingegen, wie das Private mit dem Politischen verschmilzt und wie sich dabei die Widersprüche türmen.

Lethem ist ein virtuoser Künstler der Metaphern, dem aber die Gäule auch einmal durchbrennen können: «Das Problem seiner Tirade war, dass die Zeit ihr wie bei einer von der Sonne ausgetrockneten Traube die strukturierende Haut abzog, während er sich noch in ihr erging. Das so drückend verlässliche Jetzt löste sich auf.» Dennoch: Kein noch so kleines Fitzelchen Realität entgeht diesem Sprachvirtuosen. Man lernt mit der Lethemschen Überfülle gut leben. Was will man mehr.

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