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«Einsamkeit auf die Spitze getreiben»: «Kudos» von Rachel Cusk
Aus Kultur-Aktualität vom 07.08.2018. Bild: Siemon Scamell-Katz/Suhrkamp Verlag
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«Kudos» von Rachel Cusk Hohe Kunst, tiefe Einsamkeit

Als «weibliche Odyssee im 21. Jahrhundert» wird Rachel Cusks Roman-Trilogie über die Schriftstellerin Faye bezeichnet. Mit «Kudos» legt sie den dritten Teil vor – und treibt ihren Stil auf die Spitze.

Schriftstellerin Faye ist unterwegs in Südeuropa, um ihr neues Buch zu präsentieren. Auf dem Flug erzählt ihr Sitznachbar ihr, dass er, ein erfolgreicher Geschäftsmann, sich über die Jahre permanenten Reisens zunehmend von Frau und Kindern entfremdet habe.

Rachel Cusk

Rachel Cusk

Schriftstellerin

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Rachel Cusk wurde in Kanada geboren und kam als Kind nach Grossbritannien. Sie ist Autorin von drei Sachbüchern und acht Romanen. Zuletzt erschienen ist ihre Roman-Trilogie «Outline» (2014), «Transit» (2016) und «Kudos» (2018).

Das «Herz» seiner ganzen neurotischen Familie sei der Hund gewesen. Nun sei er sterbenskrank geworden. Der Mann hat das seiner Familie verschwiegen und sie vorausgeschickt auf eine Reise.

Danach habe er sich nicht anders zu helfen gewusst, als den Hund einschläfern zu lassen – trotz seines Versprechens, dies niemals allein zu entscheiden.

Erzählform: Secondhand

Die Figuren dieses hochemotionalen Einstiegs tauchen nach den ersten 30 Seiten nicht wieder auf. Vielmehr entspinnen sich aus jeder von Fayes zahlreichen Begegnungen weitere Geschichten.

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«Grandios» bis «nervtötend»: Der Literaturclub diskutiert «Kudos»
Aus Literaturclub vom 26.06.2018.
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Faye schildert sie gleichsam als Secondhand-Erzählerin, detailreich und im Modus indirekter Rede. Verleger, Journalisten, Kolleginnen und Kollegen, ziehen sie in beklemmende Stories des eigenen Lebens hinein.

Hinter Geschichten verschwinden

Wer aber ist Faye selbst? Die Mutter von zwei Söhnen und erfolgreiche Autorin verschwindet hinter den Geschichten – wie schon in den beiden vorgängigen Romanen von Rachel Cusk, «Outline» und «Transit».

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Transit von Rachel Cusk
aus Kontext vom 31.05.2017. Bild: Reuters
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Auch in diesen Bänden wurde Fayes Leben als alleinerziehende Mutter, die nach Auslandsjahren wieder in London Fuss zu fassen versucht, nur in Umrissen erzählt. Dominant waren immer die dramatischen Geschichten der anderen.

«Weibliche Odyssee»

Cusks Trilogie wurde schon als «weibliche Odyssee im 21. Jahrhundert» bezeichnet. Handeln die Geschichten, mit denen Faye zugedröhnt wird, doch nicht nur davon, wie selbstbezogen und mitleidlos Menschen miteinander umgehen – die Machtverhältnisse sind auch meist massiv zuungunsten der Frauen verteilt.

Buchhinweis

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Rachel Cusk: «Kudos». Aus dem Englischen von Eva Bonne. Suhrkamp 2018.

Auch das «Hilfspersonal» aus der Literaturwelt ist in den drei Romanen durchaus geschlechtsspezifisch besetzt: Dem männlichen Verleger stehen Übersetzerin, Lektorin, Assistentin gegenüber. Es sind Frauen, die teils entwürdigende Situationen, verursacht durch massiv rücksichtslose Männer, hinzunehmen haben.

Sozialer Hickhack

Soziale Kälte in einer gnadenlos auf Performance, auf Leistung und Auftreten fixierten Welt: Das könnte als übergeordnetes Thema der Trilogie gelten. Denn es bestimmt sowohl die Inhalte als auch die Form der Geschichten: Sie werden aneinandergereiht, regelrecht gestaut.

Sie zeigen Hackordnungen, verdeckte Systeme der Macht, auf deren unterster Hierarchiestufe die Ohnmächtigsten rangieren: Kinder und Tiere.

Der einzige Zuhörer

Am Schluss der Reise wird Faye von ihrem Sohn angerufen. Der Junge erzählt, wie beim Schwimmengehen mit anderen Kindern versehentlich ein Brand entstanden war. Jemand hatte ein Handtuch auf eine Heizung gelegt.

Die hinzugerufenen Erwachsenen hätten in der Folge die Kinder nur wild beschuldigt. Niemand habe ihnen zugehört, was wirklich passiert sei.

Faye antwortet ihrem Sohn: «Man kann nicht jedem seine Geschichte erzählen ... Vielleicht kann man sie nur einem einzigen Menschen erzählen.» Wer aber ist dieser «Einzige»?

Spätestens an dieser Stelle entsteht in der Leserin die Vermutung, dass Faye als obsessive Zuhörerin für die Literatur selbst steht. Für die Literatur als Ort des Einsammelns und Bezeugens – aber auch als Ort der Einsamkeit.

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