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Proteste in Weissrussland Lukaschenko mit harter Hand, Alexijewitsch mit klaren Worten

Swetlana Alexijewitsch über die Zustände in ihrer Heimat, wo Präsident Lukaschenko kompromisslos gegen Oppositionelle vorgeht.

  • Die 68-jährige Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch begrüsst die Proteste auf den Strassen von Minsk und kritisiert die autoritäre Staatsführung von Alexander Lukaschenko.
  • Die aktuellen Proteste in Weissrussland seien die Quittung für eine verfehlte Politik des Staatspräsidenten, sagt Alexijewitsch.
  • Alexijewitsch gilt heute in Weissrussland als Oppositionelle. Ihre kritischen Texte werden nicht mehr gedruckt und ihre Regimekritik kann sie nur noch in wenigen kleinen Zeitungen äussern.

Putin? Brauchen wir nicht!

Etwas müde und abgespannt wirkt Swetlana Alexijewitsch. Die 68-jährige Nobelpreisträgerin aus der weissrussischen Hauptstadt Minsk sei viel unterwegs, sagt sie, und auch die politische Entwicklung in ihrer Heimat bereitete ihr Sorgen.

Mit Wasserwerfern, Polizeisperren und hunderten Festnahmen ging Präsident Alexander Lukaschenko kürzlich gegen Demonstranten vor. «Der Grund für die Unzufriedenheit im Volk sind die Beziehungen zu Russland», sagt Alexijewitsch. «Sie haben sich verschlechtert.»

Putin weigere sich das weissrussische Regime weiterhin finanziell zu unterstützen. Nun verschlechtere sich die Wirtschaftslage. Zurecht gehe die Jugend auf die Strasse, sie wollen sich nicht ewig von Putin durchfüttern lassen, so Alexijewitsch.

Verfehlte Politik eines Diktators

Auch die Autorin selbst hat in den letzten Jahren den weissrussischen Staatschef Alexander Lukaschenko wiederholt scharf kritisiert. Er lasse keine Demokratie zu, fälsche Wahlen und drangsaliere die Opposition brutal. «Die heutigen Proteste sind die Quittung für die verfehlte Politik des Diktators», sagt Alexijewitsch.

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Für die Autorin ist klar: «Lukaschenko hat sich selbst in die schwierige Situation gebracht, in der er steckt.» Während über 20 Jahren lebe Lukaschenko von Krediten aus Russland und kümmere sich nicht um den innenpolitischen Wandel, den das Volk wolle. Schliesslich suchte er die Nähe zu Europa, was wiederum Putin herausforderte. Nun sitzt der Diktator in der Klemme.

Bedroht, gefährdet, eingeschüchtert

Die Verhaftung des weissrussischen Dichters und führenden Oppositionellen Vladimir Neklyaev sorgte kürzlich für viel Aufsehen. «Die Angst, dass die harte Hand des Regimes plötzlich zuschlägt, gehört in Weissrussland für jeden zum Lebens, der sich öffentlich kritisch äussere», sagt Alexijewitsch. Diese Erfahrung hat sie bereits vor Jahren machen müssen.

Sie wurde wegen ihres Buches über das Grauen des Afghanistankriegs vor Gericht gezerrt, der KGB hat sie mit Telefonanrufen eingeschüchtert, sie wurde bedroht. Heute sagt sie: «Das alles ist Teil meines Lebens.»

Kritische, ungedruckte Zeilen

Alexijewitsch gilt heute in Weissrussland als Oppositionelle. Ihre Werke werden nicht gedruckt. Ihre ergreifende Prosa, in der sie unter anderem vom Supergau in Tschernobyl erzählt, von Kinderschicksalen im Zweiten Weltkrieg oder von den tiefen Verwerfungen, die der Sowjetstaat in den Seelen seiner Bürgerinnen und Bürger angerichtet hat.

All diese Bücher sind in Weissrussland, wenn überhaupt, nur in kleiner Stückzahl erhältlich. Sie müssen in Russland oder im Baltikum gedruckt werden. Auch die Türen zu den staatlichen Medienhäusern des Landes sind der Autorin verschlossen.

Sie kann sagen, was andere nicht können

Einzig in den wenigen kleinen Zeitungen der Opposition, die privat finanziert sind, kann sie sich gelegentlich kritisch zum System äussern. Sie rede dort offener als andere, sagt die Autorin. Das Regime behellige sie bis jetzt nicht deswegen, was sie vermutlich ihren zahlreichen Auszeichnungen zu verdanken habe.

Dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels von 2013 etwa und vor allem dem Literaturnobelpreis von 2015. Sie kann sagen, was andere nicht können. Dennoch: Alexijewitsch mag sich keinen Illusionen hingeben, dass sie mit ihrer Regimekritik und mit ihren Büchern an den Zuständen in ihrem Land etwas ändern wird. «Dies zu glauben ist schlicht naiv», sagt sie.

Die Literatur könne die Menschen nicht besser machen, der Wandel sei ein langsamer Prozess und niemand wisse, was daraus resultiere. Die Leute würden aber in der Literatur Antworten suchen. In diesem Sinn seien die Schriftstellerinnen und Schriftsteller gerade im heutigen Weissrussland wichtig als Teil des Kampfs für einen Wandel.

Sendung: Radio SRF 1, Echo der Zeit, 08.04.2017, 18:00 Uhr

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