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Literatur Marius Daniel Popescu, ein schwarzer Rabe in der Schweiz

Die Schweiz profitiert nicht nur vom Import fertig ausgebildeter Ärzte oder Manager. Gelegentlich kommt auch ein Schriftsteller in unser Land, und das kann zum Ereignis werden, wie der Fall des Rumänen Marius Daniel Popescu zeigt.

Mit seinem ersten Roman «La symphonie du loup» / «Die Wolfssymphonie», auf Französisch im Jahre 2007 erschienen und nun auch auf Deutsch publiziert, bereichert Popescu die Schweizer Literatur um eine bedeutende Erzählung. Popescus Qualitäten: ein weiter Horizont, eine leuchtende Sprache, eine originelle Weltsicht.

Buchhinweis

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Marius Daniel Popescu: «Die Wolfssymphonie.» Engeler Verlag, 2013.

Popescu, geboren 1963 in der Stadt Craiova, gelernter Förster, war mit 4 Gedichtbänden schon ein rumänischer Autor, als er 1990, also nach dem Sturz der kommunistischen Diktatur, in die Schweiz kam. Sein Exilgrund sei die Liebe gewesen, sagt er, er sei ein «asilant amoureux», ein Liebesasylant.

Ein schwarzer Rabe

Im Februar 2009 hat das Schweizer Volk darüber abgestimmt, ob die Personenfreizügigkeit auf Rumänien und Bulgarien ausgedehnt werden soll. Während des Abstimmungskampfes warb die SVP mit Plakaten, auf denen drei Raben zu sehen waren, welche auf die Schweiz einhacken. Dazu war die Parole zu lesen: «Freipass für alle? – Nein!».

Marius Daniel Popescu ist einer dieser Raben. Er sagt: «Ich kann die Eifersucht der SVP-Schweizer gut verstehen. Schliesslich habe ich ihnen einen Arbeitsplatz weggenommen. Ich arbeite seit 22 Jahren als Busfahrer bei den städtischen Betrieben in Lausanne. Ich habe den Schweizern ihre Frauen weggenommen, ich war zweimal verheiratet, beide Male mit Schweizerinnen, die offenbar ganz scharf sind auf den rumänischen Pass. Und nun nehme ich den Schweizern auch noch ihre Literaturpreise weg. Ich bin der einzige Schriftsteller der Romandie, der den Robert-Walser-Preis bekommen hat (für die ‹Wolfssymphonie›), und 2012 habe ich auch den Eidgenössischen Literaturpreis erhalten (für seinen zweiten Roman ‹Les Couleurs de l’hirondelle›).»

Ein Neugeborener

Popescu konnte kein Wort Französisch, als er in die Schweiz kam. Er sagt, «ein Neugeborener auf dem Planet Schweiz» sei er gewesen. Er fand es lustig, dass in Lausanne tatsächlich alle Leute so redeten wie Gabin, Belmondo oder Bourvil in den Filmen, die er mochte. Heute ist Popescu ein französischsprachiger Schriftsteller. Er träumt nicht nur auf Französisch, er artikuliert auch seine Kindheitserinnerungen auf Französisch.

Die Poesie der Welt

Audio
M. D. Popescu über den Wolf
02:06 min
abspielen. Laufzeit 2 Minuten 6 Sekunden.

Poesie ist für Popescu nicht etwas, das die Dichter in die Welt bringen, sondern eine überall vorhandene Dimension des Wirklichen. Er nennt sie auch «das Geheimnis» oder gar «das Heilige». Nehmen wir ein einfaches Beispiel: Ein Vogel fliegt vorbei. Die Physik kann in ihrer Sprache erklären, wie und warum er fliegt. Die Schönheit des Vorgangs, seine Bedeutung für uns, das wäre die poetische Dimension. Der Schriftsteller hat dabei zwei Aufgaben: Die Poesie im Leben entdecken und sie dann mit Worten auch für andere erfahrbar machen.

Die Heiligung des Banalen

Ein Kirschbaum in Rumänien: Popescu gelingt es zu beschreiben, wie und warum er ein Freund des Kindes wurde... Ein Kind in der Schweiz. Mit Hingabe vermanscht es das Essen und versaut die Wohnung. Popescu macht erfahrbar, wie und warum Kinder so unwiderstehlich sind.

Ihm geht es auch darum, den Alltag zu adeln. Er spricht von der «Sakralisierung des Banalen», denn, so fragt er, was soll daran eigentlich banal sein, wenn ein Vater und seine zwei Kinder beisammen sind. Er möchte die existentielle Bedeutung unseres Lebens auch im Alltag nachweisen, und wo ihm das gelingt, da ist das Lesen ein beglückendes Erlebnis.

Popescu verknüpft in der «Wolfssymphonie» Szenen aus Rumänien und Szenen aus der Schweiz. Wir hören zwei Erzähler. Ein 98-Jähriger rumänischer Grossvater erzählt seinem Enkel von seiner Jugend und seinem Land. Der Enkel erzählt von seiner Gegenwart im Emigrationsland Schweiz. In ihren besten Passagen erzählen sie so eindringlich, dass man, lesend, immer wieder glaubt, Halluzinationen zu haben oder im Traum zu sein.

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