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Literatur Nach dem Hurrikan zeigt sich, wer wir wirklich sind

Der Schriftsteller Richard Ford ist ein kritischer Beobachter dessen, was in Amerika passiert. Nun erlebt seine Figur Frank Bascombe die Folgen des Hurrikan Sandy. In «Frank» geht es vor allem um die leisen, fast unmerklichen Folgen der Katastrophe. Auch diese Folgen wiegen schwer.

Richard Fords Romanheld Frank Bascombe war durch drei Bücher hindurch ein stiller, kluger, geistreicher Kommentator politischer und gesellschaftlicher Entwicklungen. «Der Sportreporter», das pulitzerpreisgekrönte «Unabhängigkeitstag» und «Die Lage des Landes» repräsentieren viel mehr als die Geschichte eines Amerikaners, der sich in verschiedenen Berufen versucht, ein Kind verliert, sich scheiden lässt und viel über die Welt nachdenkt. Die Bücher sind eine Chronik Amerikas der letzten 40 Jahre.

Keine Ruhe im Ruhestand

Nun ist Frank Bascombe in «Frank» wieder da. 68-jährig und im Ruhestand hat er seine frühen Berufsversuche als Schriftsteller und Sportreporter ebenso hinter sich gelassen wie die langen Arbeitsjahre als Grundstücksmakler. «Wenn man alt wird, so wie ich, lebt man sowieso weitgehend inmitten der Anhäufungen seines Lebens», heisst es am Anfang des Buches. Und weiter: «Es passiert nicht mehr viel, ausser an der medizinischen Front.»

Buchhinweis

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Richard Ford: «Frank». Aus dem Englischen von Frank Heibert. Verlag Hanser, 2015.

Das Buch selbst widerspricht dem dann auf jeder Seite: Es passiert äusserst viel in diesem Buch – ganz entgegen Franks Erwartung. Mit seiner Partnerin Sally führt er ein geruhsames Leben, das zunächst nicht einmal durch den Hurrikan Sandy und seine Verwüstungen aus dem Lot gebracht wird. Frank wundert sich eher darüber, dass seine Frau sich als Trauerberaterin engagiert.

Im Persönlichen das grosse Ganze begreifen

Aber da ist plötzlich ein alter Kumpel, der vor acht Jahren Franks Haus am Meer abgekauft hat. Er bittet Frank, zum Haus zu kommen: Sandy hat es zerstört, es liegt auf der Seite und streckt seine Eingeweide in den Himmel.

Wieder daheim steht bei Frank eine Frau vor der Tür, einen Arm in der Schlinge, den sie sich beim Hurrikan verletzt hat. Sie will sein Haus ansehen, weil sie in diesem als Kind gelebt hat. Irgendwann stellt sich heraus, dass das Haus Schauplatz einer schaurigen Familientragödie war.

Porträt von Richard Ford
Legende: Ein amerikanischer Chronist: Richard Ford. Keystone

Katastrophe als moralische Herausforderung

In diesen persönlichen, fast intimen Momenten wird für Frank – und für die Leserin – die Dimension von Katstrophen im Leben eines Einzelnen spürbar. Die Geschichten sind nicht schwermütig erzählt. Im Gegenteil, überall gibt es jenen feinen Witz und jene Situationskomik, die Ford auch auszeichnen.

Richard Ford sagt, dass ihn generell viel mehr die Folgen eines Ereignisses als das Ereignis selbst interessieren: «Wie wir auf so etwas reagieren, darin zeigt sich, wer wir sind – und wo wir moralisch stehen.» Ford war von Hurrikan Sandy zwar nicht selbst betroffen, aber er war als Beobachter unterwegs. Er ist mit seiner Frau zur Küste gefahren, hat sich die Verheerungen angeschaut und mit Leuten gesprochen.

Literatur als moralisches Handeln

Sein Vorhaben war, Geschichten zu erzählen, die die Medien eben nicht erzählen können: «Wenn ich in einem literarischen Text Zusammenhänge herstelle zwischen dieser Katastrophe und sehr persönlichen Geschichten, dann ist das etwas Ethisch-Moralisches, und zwar auf viel komplexere Art, als journalistische Berichterstattung das leisten könnte. Während Journalismus ein Bild der Welt schafft, auf das wir uns verlassen können sollen, kann Literatur unsere Gefühle und Wahrnehmung selbst verändern – und etwas wie eine frische, neue Bewusstheit schaffen.»

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