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Drago Jancar – «Wenn die Liebe ruht»
Aus Kontext vom 09.10.2019. Bild: imago / CTK Photo
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Neues Buch von Drago Jančar Das heikelste Kapitel Sloweniens

Der führende slowenische Schriftsteller Drago Jančar schreibt in «Wenn die Liebe ruht» über das umstrittene und wenig aufgearbeitete Thema der deutschen Besatzung Sloweniens und die Gräuel der frühen Tito-Jahre.

Sonja und Valentin sind ein junges Paar aus Maribor. Sie studiert in Graz, er in Ljubljana, zusammen erleben die ihre erste Liebe. Bis der Krieg ausbricht. Bis die Deutschen einmarschieren und Valentin zu den Partisanen geht. Und von den Nazis geschnappt wird.

Doch Maribor ist eine kleine Stadt, wo jeder jeden kennt. So kennt Sonja Ludek, einen alten Freund der Familie, der sich jetzt Ludwig nennt und SS-Mann geworden ist. Ihn spricht sie an. Ihn bittet sie um Hilfe.

Die Hilfe wird tatsächlich gewährt, doch hat sie einen hohen Preis: Ludwig verlangt eine Nacht mit ihr. Sonja lässt sich drauf ein. Valentin kommt frei.

Das ist der Bruch in der Geschichte. Valentin weiss nicht, warum er freikommt. Er kann es sich nur denken. Und Sonja weiss nicht, warum Valentin nicht mehr mit ihr spricht. So kann sie ihm auch nicht sagen, dass Ludwig in jener Nacht gar nicht in der Lage war, seine Forderung umzusetzen.

Die Liebe hat keine Chance

Am Ende verlieren alle: Sonja wird als Strafe für Ludwigs Impotenz als Zwangsprostituierte an die Ostfront geschickt. Valentin kehrt zu einer mittlerweile stalinistisch durchorganisierten Kampftruppe zurück, wo er um ein Haar als Verräter erschossen wird, und wo er zum Mörder wird.

Und Ludwig wird am Ende des Krieges, als auf den Bergen Sloweniens die Partisanen bereits mit ihren Massenerschiessungen begonnen haben, auf der Flucht nach Österreich gefasst und ohne Prozess erschossen. Sonja und Valentin aber sehen sich nie wieder. Die Liebe hat im Krieg keine Chance. Das ist die vermeintliche Aussage dieses Romans.

Das heikelste Kapitel

Doch Drago Jančar schreibt keine Liebesromane. Er schreibt über die Geschichte seines Landes. Jetzt, mit 71 Jahren, erreicht er das heikelste Kapitel dieser Geschichte. Die Gräuel nach den Gräueln.

Die Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg, als die siegreichen Partisanen alleine in Slowenien 15’000 Zivilisten als Kollaborateure liquidierten. Slowenien, das jahrhundertelang unter Habsburger Herrschaft stand und auf Grund seiner grossen deutschen Minderheit am Ende des Zweiten Weltkriegs unter Generalverdacht der Kollaboration stand, erlebte die Befreiung von den Nazis als die blutigsten Jahre seiner Geschichte.

Ein Porträt des Autors Drago Jančar, geboren 1948 in Maribor.
Legende: Autor Drago Jančar wurde 1948 in Maribor geboren, in jener Stadt, in der sein jüngster Roman teilweise spielt. Jože Suhadolnik/Delo

Im gleichen Gefängnis wie sein Vater

Es gehört zur Tragik Jugoslawiens, dass diese Geschichte jahrzehntelang tabuisiert worden ist. Eine Geschichtsschreibung, die die Opfer der kommunistischen Diktatur nicht einfach als Nazikollaborateure abtat, gab es nicht.

Schlimmer noch: Das ganze Thema wurde so lange unter dem Deckel gehalten, bis es 1991 mit voller Wucht wieder zutage trat. Der Jugoslawienkrieg der 1990er-Jahre ist so gesehen die Fortsetzung des Zweiten Weltkrieges, der unter Tito zwar gestoppt, aber nicht beendet wurde.

Menschen wie Drago Jančar, die in den 1970er-Jahren schon auf das Thema aufmerksam gemacht haben und wussten, wieso sie vor der Tabuisierung warnten, landeten im Gefängnis. Jančar übrigens im selben Gefängnis wie Jahrzehnte vor ihm sein Vater unter den Nazis.

Eine Geschichte, die Spuren hinterlässt

Die Wunden sind bis heute nicht verheilt. Nach dem Ende Jugoslawiens als Bundesstaat und nach der Unabhängigkeit Sloweniens wurde das Thema zwar enttabuisiert. Umstritten ist es aber nach wie vor. Keine Diskussion unter Slowenen, die nicht über kurz oder lang beim Krieg und den frühen Tito-Jahren enden würde.

Vierzig Jahre Geschichtsklitterung gehen eben nicht spurlos an einem Land vorbei. Und darin liegt auch das Verdienst des grossen Erzählers Drago Jančar: Dass er einen Beitrag leistet zur Aufarbeitung der Geschichte seines Landes, die ein Teil der Geschichte Mitteleuropas ist.

Buchhinweis

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Drago Jančar: «Wenn die Liebe ruht», Zsolnay Verlag, 2019.

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