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Philip Roth gestorben Ätzende Satire und zärtliche Anteilnahme

Er warf – fast – jede Moral über Bord. Philip Roths Geschichten sind Selbsterkundungen und Selbstentblössungen. Genauso wie Chroniken der amerikanischen Gesellschaft der letzten siebzig Jahre.

«Was ich werden wollte? Ich hatte keine Ahnung. Ich wusste nicht, wie irgendwer irgendwas wird.»

Philip Roth war der Enkel jüdischer Einwanderer aus Osteuropa, die nur jiddisch sprachen. Er war der Sohn eines Vaters, der sich zum leitenden Angestellten einer Versicherungsfirma hochgearbeitet hatte, aber nicht ohne Fehler schreiben konnte und höchstens mal die Zeitung las.

Gerechtigkeitssinn folgen

Philip Roth entdeckte die Literatur erst an der Uni, nach ein paar Semestern Jurisprudenz. Als Anwalt, so dachte er als Jugendlicher ganz naiv, würde er seinem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn folgen können.

Aktuelle Sendungen zu Philip Roth

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Ein Gigant der Weltliteratur: Philip Roth

Philip Roth zählt zu den bedeutendsten Romanciers des 20. Jahrhunderts. Er ist im Alter von 85 Jahren verstorben. Mit ihm verliert die amerikanische Literatur eine unverwechselbare Stimme.

  • 24.5., Kontext, Radio SRF 2 Kultur, 09:03 Uhr

Filmporträt in Gedenken an den Jahrhundertautor

Völlig frei, als sei jede Furcht und Zurückhaltung von ihm abgefallen, spricht Philip Roth über seine Familie, seine Sehnsüchte, seine Obsessionen, über Humor, die Wirren der Sexualität und der Liebe.

  • 27.5., Sternstunde Kunst, SRF 1, 11:55 Uhr

«Ich war sehr interessiert an Gleichheit und Gerechtigkeit in Amerika. Wahrscheinlich weil ich als Jude aufgewachsen war. Also dachte ich, wenn ich Anwalt werde, kann ich mich dafür einsetzen.»

Stochern im Wespennest

Gleichheit und Gerechtigkeit in Amerika – ein Wespennest, in dem Philip Roth schon mit seinem Debut stocherte, einem Kurzroman und vier Erzählungen, die 1959 unter dem Titel «Goodbye Columbus» erschienen.

Audio
Buchtipp Literatur: «Goodbye, Columbus» von Philip Roth
aus Kultur kompakt vom 19.03.2013.
abspielen. Laufzeit 2 Minuten 28 Sekunden.

Dieser Erstling brachte ihm mit sechsundzwanzig den wichtigsten Literaturpreis der USA ein, den «National Book Award» – und harsche Kritik aus der jüdischen Gemeinde.

Ätzende Satire und zärtliche Anteilnahme

Weil Roth in seiner schon damals unvergleichlichen Mischung aus ätzender Satire und zärtlicher Anteilnahme über jüdische Ehebrecher und jüdische Drückeberger schrieb – und über Sex.

Aber auch über christliche Antisemiten – und über Liebe. Über den Graben zwischen der Mittelklasse und den kleinen Leuten im Einwandererviertel Newark, New Jersey, wo er selbst aufgewachsen war. Über das alltägliche Leben in seiner ganzen Widersprüchlichkeit und Willkür, wie in all seinen späteren Büchern. Ungeschminkt, und immer auch eminent politisch.

Radikal rücksichtslos

So besehen wandelte Philip Roth auch als Schriftsteller «auf dem Pfad der Wahrheit und Gerechtigkeit», allerdings radikal rücksichtslos gegen sich selbst und andere: «Ich glaube beim Schreiben sollte man ethnische Zwänge und die übliche Umsicht verzichten, so dass man eine Geschichte unbelastet erzählen kann», sagte er.

Die Geschichten, die Philip Roth erzählte, und dabei – fast – jede Moral über Bord warf, sind Selbsterkundungen und Selbstentblössungen genauso wie Chroniken der amerikanischen Gesellschaft der letzten siebzig Jahre.

«Der menschliche Makel»

Sie sind Spiegel, in denen wir uns alle wiedererkennen können. Sie sind es im frühen Bestseller «Portnoys Beschwerden», den schrillen Verlautbarungen eines Muttersöhnchens und Onanisten auf der Psychoanalytiker-Couch.

Sie sind es im Buch, das viele für Roths bestes halten, «Der menschliche Makel», dem Roman über fehlgeleitete «Political Correctness», soziale Ausgrenzung und persönliche Ohnmacht mitten in der beschwingten Clinton-Ära.

Sie sind es in «Nemesis» über die Tragödie der Polio-Epidemie in den 1940er Jahren.

Mönchischer Fleiss

«People in Trouble», «Menschen in Schwierigkeiten» – diesem Thema hat sich Philip Roth ein Schriftstellerleben lang gewidmet, in über 20 Romanen, und mit mönchischem Fleiss.

«Wer bin ich? Tja… ich schreibe. Und schreibe und schreibe und schreibe…», fragte sich Roth. Und doch hat er sich, für den das Schreiben immer über alles ging, im November 2012 selbst in Pension geschickt.

Vom Kampf des Schreibens befreit

Ohne dass er es geplant hätte, war «Nemesis» zu seinem letzten Buch geworden. Der Kampf des Schreibens war vorbei, wie es auf einem Zettel über seinem Schreibtisch hiess – und Philip Roth wider Erwarten befreit und glücklich. Nun ist er 85jährig in New York gestorben.

Sendung: Kultur aktuell, Radio SRF 2 Kultur, 23.5.2018, 17.10 Uhr

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