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«Drei Frauen» von Dacia Maraini
Aus 52 beste Bücher vom 07.07.2019. Bild: imago Images/Leemage
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Roman von Dacia Maraini Wenn die Tochter mit dem Freund der Mutter

«Drei Frauen» und ein familiärer Super-Gau: Italiens ewige Nobelpreis-Kandidatin Dacia Maraini hält ihrem Land den Spiegel vor.

Auch mit 82 Jahren sei sie keineswegs altersmilde geworden, lacht Dacia Maraini. Unerschrocken macht sie das, was sie schon immer getan hat: auf gesellschaftliche Missstände aufmerksam machen – sei es in ihren Büchern oder in öffentlichen Kommentaren.

Explosive Stimmung

Maraini schafft es bis heute, ihr Publikum immer wieder zu überraschen. So wähnt man sich in ihrem neuen Roman «Drei Frauen» vorerst in einer etwas unkonventionellen Familiengeschichte.

Grossmutter, Mutter und Tochter leben alle unter einem Dach. Das emotionale Klima zwischen den Generationen ist explosiv, weil sich nicht alle in gleicher Weise an den Haushaltspflichten beteiligen.

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Dacia Maraini: «Drei Frauen». Folio-Verlag, 2019.

Zudem sind die drei Damen charakterlich sehr unterschiedlich. Gesuina, 60, eine exaltierte ehemalige Schauspielerin, flirtet leidenschaftlich gerne mit den Männern.

Ihre etwas vergeistigte Tochter Maria (40) sitzt fast pausenlos am Schreibtisch, weil sie als Übersetzerin die Familie durchfüttert. Nebenbei schreibt sie ihrem fernen Geliebten François schwülstige Briefe. Und Marias 17-jährige Tochter Lori pubertiert und geht ihren eigenen Weg.

Erst als der Freund ihrer Mutter aus Paris über die Weihnachtstage zu Besuch kommt, verändert sich die Dynamik. Denn Lori setzt alles daran, François zu verführen.

Womit sie allerdings nicht gerechnet hat: Dass einmal Sex genügt, um ein Kind zu zeugen. Der familiäre Super-Gau ist eingetreten. Wie soll sie ihre Mutter Maria mit der Wahrheit konfrontieren?

Die Leichtfertigkeit der Jugend

Die Wendung im Roman kommt unvermittelt – und man wundert sich: Warum hat Dacia Maraini diese heimliche Affäre auf die Spitze getrieben? Musste Lori denn gleich auch noch schwanger werden?

«Ja, weil ich der heutigen verwöhnten Jugend einen Spiegel vorhalten wollte», sagt sie. «Viele junge Menschen übernehmen keine Verantwortung mehr. Sie lassen sich leichtfertig treiben. Sie weichen Verpflichtungen aus und denken kaum über den Tag hinaus».

Eine Mutterschaft habe aber Konsequenzen – damit muss Lori nun erstmals in ihrem Leben fertig werden.

Der Staat als schlechtes Vorbild

Dacia Maraini moralisiert nicht. Sie nimmt die jungen Menschen sogar in Schutz: «Wie sollen sie Verantwortungsbewusstsein lernen in einem Staat, dessen Politiker Tag für Tag vorleben, wie wenig sie in ihren Entscheidungen bereit sind, auch die Folgen zu bedenken.»

Als Beispiele nennt Dacia Maraini den Traum der Rechten vom EU-Austritt. Die zunehmende Verschuldung Italiens oder die engstirnige Haltung in der Lösung des Flüchtlingsproblems.

So gesehen fokussiert Dacia Maraini in «Drei Frauen» nicht nur auf ein privates Problem, sondern macht aus dem Stoff auch eine hochpolitische Geschichte.

Nachdenken lernen

Mit der Literatur könne man zwar keine Gesetze umschreiben oder Zustände verändern. Aber immerhin könne man an die Vernunft appellieren. Davon ist Dacia Maraini überzeugt.

«Wer Bücher schreibt oder Bücher liest, lernt, genauer hinzuschauen und über Zusammenhänge nachzudenken.» Das ist vielleicht schon der erste Schritt in die richtige Richtung.

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