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«Wild Game»: Buchbesprechung von Britta Spichiger
Aus Kultur-Aktualität vom 01.05.2020. Bild: © Julia Cumes Photography
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Roman «Wild Game» Das erotische Leben meiner Mutter

Im Pageturner «Wild Game: Meine Mutter, ihr Liebhaber und ich» erzählt die US-amerikanische Autorin Adrienne Brodeur vom schwierigen Verhältnis zu ihrer sinnlichen Mutter.

Adrienne Brodeur ist 14 Jahre alt, als ihre Mutter ihr ein folgenschweres Geheimnis anvertraut: Sie hat sich in den besten Freund ihres Mannes verliebt und will, dass Adrienne ihr hilft, die Affäre geheim zu halten. Was sie tut – jahrzehntelang.

Die beiden, Adrienne und ihre Mutter, belügen die übrigen Familienmitglieder, legen falsche Spuren, planen geheime Treffen. Adrienne lässt sich instrumentalisieren, ordnet ihre eigenen Bedürfnisse, auch ihre eigenen Romanzen, derjenigen der Mutter unter. Sogar an Adriennes Hochzeitstag drängt sich die Mutter in den Vordergrund, um ihrem Liebhaber ihre Liebe zu beweisen.

Angst, die Fehler der Mutter zu wiederholen

Adrienne Brodeur ist heute Mitte fünfzig und hat diese Geschichte aus ihrer Jugend viele Jahre lang mit sich herumgetragen. Trotz Therapien, Selbsthilfebüchern und Gesprächen mit Freunden konnte sie sie nie richtig verarbeiten. Dies erzählte sie in einem Interview mit dem Hörbuch-Anbieter Audible.

Als sie dann eine Familie gründen wollte, habe sie etwas ganz klar gewusst: Sie wollte eine ganz andere Mutter werden. Das Schreiben ihres Buchs habe ihr geholfen, sich über ihre Vergangenheit klarzuwerden und herauszufinden, was für eine Mutter sie sein wollte.

Wer jetzt aber glaubt, im Buch «Wild Game. Meine Mutter, ihr Liebhaber und ich» lese man die Geschichte einer Autorin, die sich selbst therapiert, liegt falsch. Indem Adrienne Brodeur eine so unkonventionelle Mutter-Tochter-Beziehung thematisiert, schreibt sie weitab von klischierten Mutterfiguren.

Malabar, Adriennes Mutter, erscheint nicht als abgrundtief böse Egomanin. Brodeur porträtiert sie in erster Linie als sinnliche Frau, die ihre eigenen Bedürfnisse gedankenlos über diejenigen ihrer Tochter stellt.

Wie egoistisch dürfen Eltern sein?

Mit dieser differenzierten Darstellung weitet Adrienne Brodeur ihre persönliche Geschichte zu uns alle betreffenden Fragen aus: Wie weit ist Egoismus der Eltern innerhalb der Beziehung zu ihrem Kind gerechtfertigt? Wo liegt die Grenze? Wo beginnt die Misshandlung?

Adrienne Brodeur wird in ihrem Buch nie wütend oder anklagend. Deshalb möchte man sie während der Lektüre immer mal wieder aufrütteln und sie auffordern, sich gegen die dominante, egoistische Mutter zur Wehr zu setzen. Hier liegt eine der grossen Qualitäten des Buchs: Es weckt im Leser, in der Leserin, Emotionen, ohne je pathetisch oder sentimental zu sein.

Mit klarer, kluger und bildhafter Sprache nimmt Adrienne Brodeur den Leser, die Leserin, mit in ihre Jugend. Und öffnet mit kleinen, feinen Beobachtungen ganze Gefühlswelten.

Radio SRF 2 Kultur, Kultur aktuell, 1.5.2020, 8.20 Uhr

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