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Literaturredaktor Michael Luisier über Ma Jians «Traum von China»
Aus Kultur-Aktualität vom 13.09.2019. Bild: Getty Images / Simone Padovani / Awakening
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Satire eines Dissidenten Sein Albtraum von China

Rabenschwarz: In «Traum von China» nimmt Autor Ma Jian die Vision von Chinas Staatschef auf die Schippe.

Ma Jian gehört zu den wenigen Dissidentenstimmen Chinas, die international gehört werden. Seit zwei Jahrzehnten lebt er in London. Seit sieben Jahren darf er nicht mehr nach Hause. Auch seine Bücher nicht.

Ein schlafender Löwe

Logisch, denn sie behandeln die restriktive Politik des chinesischen Regimes, die Auswirkungen des Totalitarismus auf das Denken der Menschen oder – wie zu Beginn seiner Laufbahn – das Leben der Bevölkerung Tibets. Und jetzt, in «Traum von China», kommt die Kritik am Staatschef.

Es sei ein ganz bestimmter Moment gewesen, der dieses Buch ausgelöst habe, sagt Ma Jian. Der Moment, als Xi Jinping auf Staatsbesuch in Paris gewesen sei und gesagt habe, China sei ein schlafender Löwe.

Das habe ihn schockiert, sagt Ma Jian. Denn China sei ein autoritär regiertes Land mit Drang nach Weltherrschaft. Was, wenn dieser Löwe erwache?

Ein Traum, der Angst macht

Auslöser dieser Angst ist Xi Jinpings «Traum von China». Der sieht vor, dass China seinen Weg zur weltweiten Wirtschafts- und Hegemonialmacht Nummer eins mit aller Konsequenz zu Ende geht.

Im wirtschaftlichen Bereich bedeutet das die Expansion in die ganze Welt. Im politischen Bereich heisst das: Nationalismus nach aussen und Repression nach innen. Und im kulturellen Bereich – das ist entscheidend für das aktuelle Buch – eine Gehirnwäsche, die Auslöschung der Vergangenheit.

Dunkle Zeiten werden ausgelöscht

Das ist tatsächlich wahr und keine Erfindung Ma Jians. Erinnerungen an dunkle Zeiten wie an die Kulturrevolution und andere Schreckensphasen der chinesischen Geschichte werden von der Parteiführung konsequent mit einer neuen Kultur des positiven Nach-vorne-Blickens ersetzt.

Die Menschen gehen in eine unbeschwerte Zukunft ohne alle Last und geben dafür ihr Denken ab. Dagegen setzt Mia Jian seine Satire, die auf dem Thema Traum aufbaut:

«In dem Moment, da Mao Daode, der Direktor des neu geschaffenen ‹Traum von China›-Amts aus seinem Schlummer erwacht, stellt er fest, dass sein jugendliches Ich, von dem er eben noch geträumt hat, nicht verschwunden ist, sondern direkt vor ihm steht.

Es ist ein Nachmittag im späten Frühling und er war mit nach vorne gesackten Schultern, der dicke Bauch zu mehreren Fettwülsten zusammengepresst auf seinem Drehstuhl eingenickt. Das ist der bisher deutlichste Hinweis darauf, dass tief in seiner Erinnerung vergrabene Episoden aus seiner Vergangenheit in traumähnlichen Bildern wieder an die Oberfläche steigen.»

Schwarzer Humor als einziger Ausweg

Mao Daode, die Hauptfigur des Romans, arbeitet für den Traum von China. Gleichzeitig träumt er davon – Albträume. Erinnerungen an die Kulturrevolution kommen hoch, als er als Rotgardist und Fanatiker seine eigenen Eltern in den Selbstmord getrieben hat.

So erzählt Ma Jian von den dunkelsten Kapiteln seines Landes und reisst gleichzeitig Witze über das Regime. Schwarzer Humor gehöre immer schon zur Tradition der chinesischen Literatur, sagt Ma Jian. Für ihn als heutiger Autor sei er die einzig mögliche Ausdrucksform.

Buchhinweis

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Ma Jian: «Traum von China». Rowohlt, 2019.

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