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Literatur Sechs Generationen auf den Spuren der Vergangenheit

Opulenter Familienroman, Märchen und Geschichtslektion: Mit ihrem dritten Roman «Das achte Leben (Für Brilka)» schaut Nino Haratischwili in die Vergangenheit ihres Heimatlandes Georgien. Sie erzählt am Beispiel einer Familie, wie Krieg und Diktatur das Leben von sechs Generationen prägt.

Für die Autorin Nino Haratischwili ist das umfangreiche Familienepos «Das achte Leben (Für Brilka)» eine persönliche Auseinandersetzung mit ihrem Heimatland Georgien. Nino Haratischwili ist in einer Zeit aufgewachsen, die für Georgien schwierig war. Geboren Anfang der 80er-Jahre erlebte sie ein Land, das sich von der ehemaligen Sowjetunion löste und den Weg in die Unabhängigkeit suchte.

Die Ablösung von Russland brachte viel Leid über eine Bevölkerung, die schon traumatisiert war von den Revolutionswirren, den beiden Weltkriegen und dem Terror unter Stalin. Fast jede Familie in Georgien, so die Autorin, habe im Laufe des 20. Jahrhunderts Leid und Gewalt erfahren. Das laste noch heute auf den Menschen.

Die Suche nach Antworten

Dieses Erbe beschäftigt Nino Haratischwili seit Jahren, und sie ärgert sich darüber, dass die führenden Politiker des Landes sich nicht mit der Geschichte auseinandersetzen wollten. Sie glaubt, dass ein Land nur dann die Gegenwart anpacken kann, wenn es seine Vergangenheit aufgearbeitet hat.

Zur Autorin

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Nino Haratischwili, geb. 1983 in Tiflis, studierte Filmregie in Tiflis und Theaterregie in Hamburg. Sie inszenierte an vielen deutschsprachigen Bühnen und ihre dramatischen Texte wurden mehrfach ausgezeichnet. Ihr Romandébut «Juja» erschien 2010. Nino Haratischwili lebt als Autorin und Regisseurin in Hamburg.

Nino Haratischwili tut das nun auf ihre Art mit dem 1300 Seiten starken Roman «Das achte Leben (Für Brilka)». Ein Roman, für den sie lange in den Archiven Russlands recherchiert hat und der vieles zugleich ist: ein opulenter Familien- und Gesellschaftsroman, ein Panorama des 20. Jahrhunderts und eine Landesgeschichte von Georgien.

Der Teppich als Bild für die Familiengeschichte

«Du bist ein Faden, ich bin ein Faden, zusammen ergeben wir eine kleine Verzierung, mit vielen anderen Fäden zusammen ergeben wir ein Muster.» Das Teppichmuster als Metapher für die Verstrickungen, die sich aus der Geschichte ergeben.

Dieses Bild steht am Anfang des Romans. Da stellt uns die Erzählerin Niza ihre Urgrossmutter Stasia und ihre Nichte Brilka vor. Brilka ist der jüngste Spross der Familie, gerade mal zwölfJahre alt. Brilka haut aus Georgien ab in den Westen. Sie hat genug von der Vergangenheit, die auf der Familie lastet und über die niemand redet.

Die Urgrossmutter Stasia dagegen ist sozusagen die Hüterin der Familiengeschichte. Und diese Geschichte gibt sie weiter an ihre Urenkelin Niza. Niza, die auch unter dem Familienerbe leidet, schreibt die Geschichten auf. Sie will zum einen den Geheimnissen auf den Grund gehen und das Leid, das die Familie seit Jahrzehnten heimgesucht hat, benennen. Zum anderen will sie, dass ihre Nichte Brilka diese Last nicht mehr weiterschleppen muss.

Stürmische Zeiten

Nach diesem Prolog rollt die Autorin nun die Familiengeschichte auf. Sie macht das dramaturgisch geschickt: Sie widmet acht Familienmitgliedern je ein Buch im Buch. Sie beginnt im Jahr 1900 mit Stasias Geburt. Damals war die Welt noch im Lot. Stasia wird in die Familie eines wohlhabenden Schokoladefabrikanten hineingeboren. Sie wächst wohlbehütet auf und heiratet den Oberstleutnant Jaschi. Doch dann beginnt der Erste Weltkrieg, gefolgt von der russischen Revolution. Die Familie wird auseinandergerissen.

Buchhinweis

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Nino Haratischwili: «Das achte Leben (Für Brilka)», Frankfurter Verlagsanstalt, 2014.

Dieses Schicksal widerfährt später auch ihren Kindern, vor allem während des Zweiten Weltkrieges und der Zeit der Stalindiktatur. Stasias Sohn macht Karriere in der kommunistischen Partei und lebt weit weg von Georgien und seiner Familie in Moskau. Die Tochter, liiert mit einem Dissidenten, flieht in den Westen. Das tragischste Schicksal aber trifft Stasias schöne Schwester. Ein berüchtigter Geheimdienstchef missbraucht sie und macht sie gewaltsam zu seiner Geliebten und bringt dadurch Unglück über die Familie.

Der Fluch der Schokolade

Überhaupt wird die Familie immer wieder von Unglück heimgesucht. Es ist, als würde ein Fluch auf ihr Lasten. Nino Haratischwili setzt in diesem Zusammenhang ein dramaturgisches Mittel ein. Der Fluch wird ausgelöst durch ein Geheimrezept der Familie für heisse Schokolade. Diese Schokolade zieht sich als Leitmotiv durch den ganzen Roman. Nino Haratischwili wollte dem Roman, der über weite Teile politisch ist, dadurch eine märchenhafte Note geben.

Auch wenn der Roman an gewissen Stellen etwas zu pathetisch geraten ist und da und dort Kürzungen vertragen hätte, ist Nino Haratischwili eine grossartige Erzählerin. Der Roman ist eine wunderbare Lektüre für alle, die Familiengeschichten lieben und einen Blick auf ein Land werfen möchten, das lange hinter dem Eisernen Vorhang verborgen war.

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