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Mani Matter der Zweifler
Aus Tagesschau vom 06.04.2013.
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Literatur Zu kurz, aber intensiv: Mani Matters Leben in einer Biographie

Wir wissen noch lang nicht alles über «unseren» Mani. Historiker Wilfried Meichtry beleuchtet anhand neuer Dokumente Matters Jugend und die Person seines Vaters. Er entwirft ein korrigiertes Gesamtbild von Matters Person und verdeutlicht die Krise, in die er kurz vor seinem Tod geriet.

«Das zweifellos wichtigste Datum in meinem Leben ist der Tag, an dem ich geboren wurde: der 4. August 1936.» So schreibt der 16jährige in einem «Kleinen Selbstporträt» mit ganz unpubertärer Selbstironie. Sein lakonischer Witz und sein Genie zeigten sich früh: «Später absolvierte ich mit denkbar bestem Erfolg die Kleinkinderschule, etwa ein halbes Jahr lang.»

Auch seine uneitle und unerschrockene Wahrheitsliebe äussert sich schon: Mit interessanten Vaterkonflikten könne er nicht aufwarten, bekennt er – im Gegenteil. Sein Schulaufsatz von 1952 schliesst mit einer Liebeserklärung: «Mein Verhältnis mit dem Vater ist aber einfach schön.»

Neu – den Vätern treu

Mani Matter Graffitti auf Betonwand
Legende: Mani Matter lebt - die Präsenz vier Jahrzehnte nach seinem Tod ist ungebrochen gross. Keystone

Aus Wilfried Meichtrys Dokumenten und Recherchen taucht eine bisher unbekannte Person auf: Manis Vater Erwin Matter – durchaus ein Schlüssel zum Verständnis von Manis Person: Ein gebildeter, belesener Jurist, der in seinen Liebesbriefen an die Holländerin Wilhelmina Haan – später Manis Mutter – mit hohem Bewusstsein und psychologischem Feinsinn über sich, den «Reflexionszerfressenen», nachdenkt.

Vater Erwin hat nicht nur Humor, er liebt Sprachspiele. So bringt er zum Beispiel seinen Kindern das Konjugieren von Ortsnamen bei: Ich bell in Zona, du bellst in Zona, er bellt in Zona… 

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Wilfried Meichtry über seine «Ausgrabungen» im Literaturarchiv
00:36 min
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In einem Brief an seinen Vater schreibt der 25jährige Sohn 1962, zwei Monate bevor er ebenso ein Dr. jur. wird, wie sein Vater einer ist: «Vielleicht habe ich manchmal das Gefühl, ich müsse zu wenig selbst entscheiden, wenn ich immer Dich fragen kann und Deine Ansicht immer gut ist.»

Man könnte Manis gesellschaftspolitisches Denken als Versuch verstehen, die Generationendifferenz politisch fruchtbar zu machen. Mani engagiert sich in der Bewegung «Junges Bern» – Jugend als Programm! – und hält Vorträge mit Titeln wie «Die Schweiz seit 1945 aus Sicht der jungen Generation» (1970).

Buchhinweis

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Wilfried Meichtry: «Mani Matter, eine Biografie.» Nagel & Kimche, 2013.

Sicher: «Junge gegen Alte» ist ein zeitbedingtes Thema. Mani Matter aber hat es in besonderem Masse beschäftigt. Er hat versucht, eine doppelte Loyalität zu denken: Er begeistert sich für Aufbruch und Energie der Jungen, die vieles anders und neu machen wollen, und er will die Leistung der Alten anerkennen. Solch doppelte Loyalität bringt er in einem Gedicht auf den Punkt:

tradition / was unsere väter schufen / war / da sie es schufen neu / bleiben wir später / den vätern / treu/ schaffen wir neu

Mani Matter identifizierte sich nicht gern als Sänger

Tram mit Mani Matter Konterfei
Legende: An seinem 30 Todestag im Jahr 2002 trug ganz Bern Matter. Keystone

Die Fans von Manis Liedern mag es erstaunen, sogar schockieren, wenn der ewig grübelnde, oft von Selbstzweifeln erfasste Mani Matter bekennt, er identifiziere sich nicht gerne mit seiner Rolle als Sänger (1971).

Meichtry kann derartige Äusserungen plausibel machen: Er zeigt, dass die Lieder nur ein Teil der Auseinandersetzung dieses Intellektuellen mit sich und der Welt waren.

Es gab andere Tätigkeiten, die für Mani ebenso wichtig waren: sein Beruf, die Juristerei, die Habilitationsarbeit, die Gespräche, die Lektüren, das Denken, die Philosophie, die Theologie, das Politisieren.

Abseits jeder Ideologie

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Wilfried Meichtry über die vielen Facetten des Mani Matter
00:54 min
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Wer sich für die Probleme eines nichtideologischen Denkens interessiert, wird in Meichtrys Darstellung fündig. Mani definiert Philosophie geradezu als «ein Sich-nicht-Zufriedengeben mit der Lösung der Aufgaben, die andere uns stellen».

Zwar nähert er sich in der Auseinandersetzung mit der Revolte von 1968 einigen linken Positionen an, aber er bewahrt sich auch immer seinen kritischen Rationalismus. Da es für ihn kein verbindliches Welt- und Menschenbild mehr gibt, geht es ihm darum, die Ratlosigkeit produktiv zu machen. Und das heisst, im konkreten Einzelfall möglichst radikal und konsequent zu denken.

Verantwortung für Menschen übernehmen

Mani Matter hasst Immobilismus und Erstarrung, er ist «Anti-Establishment», aber er will auch das hier und jetzt Mögliche tun, er will Verantwortung gegenüber konkreten Menschen übernehmen und lehnt Prinzipienradikalismus ab.

Mit den revoltierenden Studenten ist er einig, wenn es um Hochschulreform, Regulierung der Wirtschaft und Sozialismus mit menschlichem Antlitz geht. Zu ihrer Revolutionsrhetorik aber hat er ein skeptisch-geniales Bonmot geäussert: Wenn die Forderung nach Revolution nicht ernst gemeint sei, dann sei er sofort dafür!

Protestaktion, die ins Leere lief

Die Krise, in der Mani Matter ab ca. 1970 bis zu seinem Unfalltod am 24. November 1972 steckte, hat zu Spekulationen Anlass gegeben. Meichtrys Biographie wirkt hier präzisierend und erhellend. Mani war unzufrieden mit seiner Rolle als «everybody’s darling», seine Chansonabende erschienen ihm zu harmlos. Genauso dachten Jugendliche aus der Nonkonformisten-Szene der Junkerngasse 37 und bereiteten eine Protestaktion gegen Mani Matter vor.

Ein Benefizauftritt am 13. September 1972 sollte gestört werden. Alles war vorbereitet – und dann blieben den Jugendlichen ihre Protestrufe im Halse stecken, denn Mani Matter sang «Nei säget sölle mir», eines seiner neuen Lieder: viel finsterer, direkter, aggressiver als die bisherigen.

Das Publikum war ziemlich verunsichert. Mani setzte noch eins drauf, sang «Wo mir als Buebe emal». Er steckte überhaupt voller Energie, verfolgte zahlreiche Projekte, bis zur Erschöpfung. 

Tatkräftig bis zum frühen Tod

Er schrieb in zwei Jahren 40 neue Lieder und bereitete sein Soloprogramm 73 vor, er wollte Tagebücher veröffentlichen und Theaterstücke schreiben, er arbeitete an einer Oper für den Komponisten Jürg Wyttenbach und an einer Kriminaloper, mit seiner Familie plante er einen Wohnungswechsel – sein Unfalltod hat alle diese Pläne vereitelt. Kurt Marti hat dazu bei der Abdankung die richtigen Worte gefunden: «Der Tod mag die Macht haben – recht hat er deswegen nicht.»

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