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90. Geburtstag Serge Gainsbourg – Sehnsucht nach dem Skandal

Am 2. April 2018 wäre Serge Gainsbourg 90 Jahre alt geworden. Die französische Ikone war die personifizierte Provokation – und ist gerade deshalb heute eine Sehnsuchtsfigur.

Serge Gainsbourg rauchte nicht nur seine Gitanes ohne Filter. Er lebte ein Leben ohne Filter. Gainsbourg verkörperte die Provokation, den Exzess, die Dekadenz – er war schlicht masslos. Heute, wo alles massvoll sein soll, ist er gerade deswegen eine Sehnsuchtsfigur.

Kein Vorbild

Als Lucien Ginzburg alias Serge Gainsbourg Ende der 1950er-Jahre die Bühne betrat, war er ein scheuer Chansonnier. Er entwickelte sich zum Raubauken, der provozierte, der «la provoque» war. Er besang den Inzest, posierte halbnackt mit seiner Tochter, pöbelte jede und jeden an. Und er reizte seine Gesundheit – rauchend und saufend – grenzenlos aus.

Unbestritten: Nicht alles, wofür Serge Gainsbourg stand, muss man sich heute zurückwünschen. Etwa die sexistischen Sprüche oder sein ausgeprägtes Machotum.

Und doch fehlt einer wie Gainsbourg. Einer, der ständig über die Stränge schlug – lustvoll, aber immer bedacht. «Ich kenne meine Grenzen. Deswegen überschreite ich sie», sagte er einmal. Besser kann ihn keiner beschrieben.

Unvergessliche Momente

Mit seinem Tod im März 1991 verstummte ein lauter Provokateur. Was Gainsbourg von sich gab, war aber nicht nur Schall und Rauch. Gainsbourg war ein Denker, ein Poet, der etwas zu sagen hatte, der trotz aller Rauheit immer wieder Finesse bewies – und der trotz allen Skandalen schüchtern schien.

Wir erinnern uns an an acht skandalöse, aber auch leise Momente, die Gainsbourg zu Gainsbourg machten.

1. Gainsbourgs Galgenhumor

Serge Gainsbourg am Rauchen.
Legende: «Ich höre immer wieder mit dem Rauchen auf. Alle fünf Minuten», sagte Serge Gainsbourg in einem Interview. Getty Images

Als Serge Gainsbourg mit 45 Jahren seinen ersten Herzinfarkt erleidet, beruft eine Pressekonferenz vom Spitalbett ein. Um seine Gesundheit in den Griff zu kriegen, wolle er fortan noch mehr rauchen und trinken, lässt er verlauten. Er hält sein Versprechen ein: Nach seinem Spitalaustritt werden in seinem Zimmer überall Pillengläser gefunden – randvoll mit Kippen.

2. Eine Reggae-Version der Marseillaise

Serge Gainsbourg mit der französischen Flagge.
Legende: In provokanter Pose: Die Reggae-Version der Marseillaise war für viele Franzosen ein Affront. Cover «Aux armes et caetera»

Gainsbourg wäre nicht Gainsbourg gewesen, wenn er sich nicht an den französischen Nationalstolz gewagt hätte: 1979 nimmt er eine Reggae-Version der Marseillaise auf. Ein Affront für seine patriotischen Landsmänner. Bombendrohungen und Proteste von Veteranen überschatten seine Frankreichtournee. Gainsbourgs Provokation geht nicht nur nach hinten los: Das Album «Aux armes et cætera» verkauft sich 600’ 000 Mal.

3. Tabuthema Inzest

Serge Gainsbourg hält seine Tochter Charlotte im Arm.
Legende: Geliebte Tochter, geliebter Vater: Charlotte und Serge Gainsbourg – hier am Set des Films «Charlotte Forever». Getty Images

«Ich liebe dich. Ich liebe dich mehr als alles», säuselt die 13-jährige Charlotte Gainsbourg. Leicht bekleidet liegt sie mit ihrem Vater im Bett. Der Song und der Video-Clip zu «Lemon Incest» sind 1984 ein Skandal. Den Inzest zu verherrlichen – ein absolutes No-Go! Der Song wirft die Frage auf: Hat Gainsbourg wirklich was mit seiner Tochter? Serge Gainsbourg versichert: Es ist nur Provokation.

4. Besuch in der Romandie

«Ich trage eine zynische Maske, die ich nicht mehr ablegen kann», verrät Gainsbourg, als er im November 1969 zu Gast in der welschen Sendung «Carrefour» ist. Im Gespräch zeigt er dann aber seine sensible Seite. Auf die Frage, ob ihm die Ironie angeboren sei, antwortet er: Er sei kalt, sehe die Dinge klar – und sei deswegen ironisch. In der Sendung spricht er viel über den Künstler Gainsbourg, aber auch über den Menschen – und meint: «Ich bin kein guter Mensch.»

5. Fuck le fric!

Serge Gainsbourg zündet eine Note an.
Legende: Enflammé! Aus Wut über die hohen Steuern zündete er am TV eine 500-Franc-Note an. Screenshot / Sendung «7 sur 7»

Weil Gainsbourg nichts anbrennen lässt, fackelt er 1984 in einer Fernseh-Show eine 500-Franc-Note (ca. 90 Schweizer Franken) ab – als Protestaktion gegen zu hohe Steuern.

Die Franzosen sind schockiert: Wie kann man so mit Geld umgehen? Er meint: «Das ist mein Geld. Es kümmert mich einen Scheiss!». Seine Tochter Charlotte bringt seine Aktion jedoch in eine brenzlige Situation: Ihre Hausaufgaben werden von ihren Schulkameraden verbrannt.

6. Gainsbourg versus Gainsbarre

Gainsbourg (links) interviewt Gainsbarre (rechts).
Legende: Zwei in einer Person: Gainsbourg (links) interviewt Gainsbarre (rechts). Screenshot / INA.fr

Gainsbourg war ein Pöbler, der zu Tief ins Glas schaue und ständig abstürzte. Er hatte aber auch eine schüchterne, tiefgründige Seite. Der Pöbler heisst Gainsbarre – sein selbst erschaffenes Alter Ego, das Gainbourg nicht wirklich leiden kann: «Quand Gainsbarre se bourre, Gainsbourg se barre» («Wenn Gainsbourg sich betrinkt, haut Gainbourg ab»), so Gainsbourg. In einem TV-Interview rechnet Gainsbourg dann auch mit Gainsbarre ab: «Ich bin umzingelt von Idioten. Du vor allem bist ein Idiot, Gainsbarre.» Selbstreflexion in Gainsbourg’scher Manier.

7. Der furzende Autor

Serge Gainsbourg mit France Gall.
Legende: Gainsbourg schrieb nicht nur Lieder – unter anderem für France Gall. Er schrieb auch sein eigenes Buch. Keystone

Gainsbourg hatte viele Talente: Er war Sänger, schrieb Drehbücher, schauspielerte, malte und er schrieb einen Roman: «Evguénie Sokolov». Die Geschichte handelt von einem berühmten Künstler, dessen Erfolgsgeheimnis im Roman gelüftet wird: die chronische Flatulenz, die Schwung in seine Kunst bringt. Furzidee, darf man da durchaus denken. «Evguénie Sokolov» ist aber ein Buch voller Poesie, Wortwitz und Charme – und ein ironischer Kommentar auf die manchmal allzu ernste Kunstwelt.

8. Er lebt!

Dieser Moment fällt etwas aus dem Rahmen. Aber bei Gainsbourg sei das erlaubt: Die Kollegen von RTS führten nämlich 2017 ein Interview mit der französischen Ikone – also 26 Jahre nach seinem Tod. Tönt schräg, ist es auch.

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Jazz Collection, 3.4.2018.

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