Was wurde sie einst belächelt und verspottet, die Alte-Musik-Bewegung: Schonkost- und Magermilchmusik! Sandalen- und Strickjackenmusiker! Das war noch das Mildeste, was die Musiker und Musikerinnen der Alten Musik zu hören bekamen. Manche Kritiker sprachen auch von einem dilettantischen Schwindel, der innert weniger Jahre auffliegen würde.
Von der Pionierleistung zur offiziellen Adelung
So mag es für die Pioniere der Alten Musik eine besondere Befriedigung sein, dass es nun ganz offiziell einen «Europäischen Tag der Alten Musik» gibt. Oder erfüllt es sie eher mit Unbehagen, dass ihre Revolution nun arriviert und etabliert ist? Und dies mit so viel Erfolg, dass auch die traditionellen Orchester, Streichquartette oder Chöre die neue Sicht nicht mehr ignorieren können.
Alles begann in den 1950er-Jahren. Natürlich waren Bach und seine Zeitgenossen Vivaldi, Händel oder Rameau damals durchaus bekannt. Doch der Österreicher Nikolaus Harnoncourt, der Holländer Gustav Leonhardt, der Schweizer August Wenzinger oder der Engländer David Munrow fanden, ihre Musik klinge in den damals üblichen Interpretationen ganz und gar falsch, fade und blass. Man müsse zuerst einmal die alten Partituren genau anschauen, verlangten sie, die alten Spielweisen studieren und wenn immer möglich originale Instrumente verwenden. Nur so erhalte die Alte Musik wieder jene Frische, die sie bei ihrer Entstehung gehabt habe.
«Alte Musik» ist nicht veraltet
Und die Pioniere entdeckten noch etwas Anderes: Nämlich, dass die europäische Musik nicht mit Bach und seinen Zeitgenossen um 1700 beginnt, sondern schon gute 500, 600 Jahre früher. Und so machte sich vor allem eine jüngere Generation lustvoll daran, die Musik von Mittelalter, Renaissance und Frühbarock zu erforschen – Musik, die man einst gern als «veraltet» oder unzugänglich abqualifiziert hatte.
Zu diesen jüngeren Entdecker gehörten vor allem Engländer wie das Hilliard Ensemble und die Tallis Scholars, John Eliot Gardiner und Christopher Hogwood, aber auch der Spanier Jordi Savall, der Amerikaner William Christie, der Belgier René Jacobs. Und so füllten die Gesänge der Hildegard von Bingen (12. Jh.) oder Monteverdis frühbarocke «Marienvesper» (1610) bald einmal die Kirchen, die farbigen Lieder der Troubadoure Burghöfe, die virtuose Instrumentalmusik des Frühbarocks Schlosssäle.
Über Tonträger in die Konzertsäle
Natürlich verlangte das vom Publikum einige Neugier und auch ein «geneigtes Ohr» für Unbekanntes und Unvertrautes. Diese frühe Musik klingt nun mal aufs erste nicht so selbstverständlich wie Haydn, Mozart oder Beethoven – und nicht einmal wie Bach.
Hier half jedoch wesentlich der Boom der Schallplatte und danach der CD: Bald einmal gab es wichtige Werke in verschiedenen Einspielungen, man konnte sich in die fremden Klänge einhören und sie sich aneignen. Manche Einspielungen Alter Musik entwickelten sich denn auch zu Best- und Steadysellern, etwa Aufnahmen mit Musik der Hildegard von Bingen.
Welterfolge und Jahrhundert-Dirigenten
Heute ist der Boom zwar etwas abgeflacht, die Revolution ist aber in den Konzertsälen angekommen. Flexible Sinfonieorchester haben sich Elemente der Interpretationsweise der «Alten Musik» geschickt angeeignet, ohne die eigene Musiksprache zu verleugnen.
So hat das Tonhalle-Orchester Zürich mit seinem Dirigenten David Zinman die Sinfonien Beethovens eingespielt, zwar nicht mit alten Instrumenten, aber mit alter Spielweise. Er erzielte damit einen Welterfolg, bei der Kritik und beim Publikum.
Und der einst belächelte und angefeindete Pionier Nikolaus Harnoncourt zählt mittlerweile zu den fünf wichtigsten Dirigenten des 20. Jahrhunderts. Dies neben Figuren wie Toscanini, Furtwängler, Karajan und Bernstein.
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