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Musik Bekenntnisse eines leiderprobten Opernliebhabers

Für die einen liegt der Reiz im Seelenstrip, den Emotionen auf der Bühne oder im Gesamtkunstwerk aus Text, Musik und Schauspiel. Andere nutzen die Oper selbst als Bühne, wollen sehen und gesehen werden, mit Goldarmreif oder chinesischer Seide. So oder so: Die Oper ist der richtige Ort dafür.

Das Bonbon im Orchestergraben

Es war nicht meine allererste Oper, aber doch eine der ersten. Sagen wir «La Bohème». Ich hatte das Glück in einer der vordersten Parkettreihen zu sitzen. Es wurde geliebt auf der Bühne, das hohe Lied der Kunst und der Freiheit gesungen unter den schrägen Fenstern eines Pariser Dachstockateliers.

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Benjamin Herzog ist Musikredaktor und Moderator bei Radio SRF 2 Kultur mit Schwerpunkt Oper. Er ist Bayreuth-erprobt und auch sonst mit allen Opernwassern gewaschen – im Positiven wie im Negativem.

Das Licht verzauberte mich, und Rodolfo besang die kalten Hände der Mimi. Puccinis Musik umgarnte einen, die Klänge von der Bühne und aus dem Orchestergraben. Hier in der Oper wurden höchste Dinge verhandelt, das wurde mir klar, die Liebe, der Tod. Hier legten die Sänger und Sängerinnen ihre Seele bloss, und als Publikum konnte man bei diesem Seelenstriptease innerlich mitziehen. Die Oper: ein Moment ohne wenn und aber.

Dachte ich. Bis mein Blick in den Orchestergraben fiel, wo ein Kontrabassist soeben ein Bonbon auswickelte und sich in den Mund schob. Das wollte nun nicht mehr in das Bild der Perfektion passen, das ich mir mit Puccini zurechtgeträumt hatte. Das Ideal war angeknittert. Heute weiss ich, dass die Maschine Oper überhaupt nur so am Laufen gehalten werden kann. Durch Menschen, denen Mimis Tod genau so wichtig ist, wie ein Pfefferminzbonbon. Die sich, Arbeit ist Arbeit, sogar nicht berühren lassen dürfen vom Strom der Gefühle, weil sie sonst vergessen würden, den Vorhang rechtzeitig fallen zu lassen oder die Statisterie aus der Kantine auf die Bühne zu rufen.

Ein Schock war das ausgewickelte Bonbon dennoch. Den ich mir erst später zurechtlegen konnte, indem ich mir sagte, genau darum gehe es in der «Bohème» ja, um den Widerspruch zwischen Kunst und Leben, zwischen Realität und Ideal. Zwischen einem Bonbon, das irgendwann einmal aufgegessen ist, und der Welt der Oper, die zum Glück weit weniger leicht vergänglich ist.

HörPunkt: Wahnsinn Oper

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Im Jubiläumsjahr von Giuseppe Verdi, Richard Wagner und Benjamin Britten befasst sich Radio SRF 2 Kultur einen Tag lang mit dem Phänomen Oper.

HörPunkt Oper, 2. Oktober 2013, SRF 2 Kultur, 9:00 – 24:00 Uhr

Gesamtkunstwerk mit Stoffserviette

Wenn meine Freundin Ilse uns zum Abendessen einlädt, dann erwartet einen immer ein Gesamtkunstwerk. Sie selber nennt es nicht so, die Bescheidene. Aber wenn sich jemand Mühe macht, nicht nur ein Menü zu komponieren, sondern einem sämigen Kalbsragout auch noch den Text eines dazu passenden, leicht cremigen Chablis zu unterlegen, und wenn dieses zentrale Liebesduett einer mehraktigen Speisefolge auf der mit allerlei Flecken schon etwas verwandelten Bühne eines einst weissen Tischtuchs stattfindet, dann ist man schon sehr nah am Gesamtkunstwerk.

Kommt die Beleuchtung hinzu, meist sanfter Kerzenschimmer. Requisiten wie auf dem Tisch verteilte Blumen, Salzgefässe aus Perlmutt, Stoffservietten und ein Chor weiterer sympathischer Gäste. In der Oper, auch wenn es da selten Kalbsragout gibt, ist oft vom Gesamtkunstwerk die Rede. Text und Musik, Bühne, Beleuchtung und die geistigen Zwischenböden der Regie bündeln, im Idealfall, ihre Kräfte zu einer Aussage. Oder zu mehreren zugleich. Die man dann leider oft nur ansatzweise versteht. Zuviel von allem, zu geschliffen das alles, zu durchdacht oder zu konzeptionell, zu perfekt.

Das ist bei Ilse anders. Der Wein verschlürft sich mit dem Essen, das Gespräch schimmert durch den Kerzenschein, und am Ende torkeln alle zufrieden nach Hause. Ich mag Gesamtkunstwerke, dachte ich nach der letzten Einladung, solche bei Ilse zuhause und solche in den Musentempeln der Oper. Die einen brauchen eben etwas mehr Anlauf, im Idealfall eine wiederholte Begegnung. Nach dem dritten «Tristan» hat man schon etwas mehr von den Kräften der Liebe und des Todes begriffen, das Stück wird immer besser. Und das unterscheidet es denn auch vom Kalbsragout mit Chablis, die beim dritten Mal zu langweilen beginnen – Gesamtkunstwerk hin oder her.

Kostümpflicht für alle

Schauspielerin Veronica Ferres und Partner Carsten Maschmeyer in Bayreuth
Legende: Kostümpflicht für alle: Schauspielerin Veronica Ferres und Partner Carsten Maschmeyer in Bayreuth, 2013. Reuters

Man kann vieles falsch machen in der Oper. Zumindest in gewissen Häusern. Die Wiener Staatsoper gehört dazu. Stehplätze zum Beispiel, darf man dort in Jeans und Pullover aufsuchen. Auch wenn letzterer nicht anzuraten ist, denn Temperatur und Luftfeuchtigkeit in dem Stehabteil hinter den Parkettplätzen steigen meist in tropische Höhen. Selbst erlebt habe ich das an einem kalten Januartag während einer Neujahrs-«Fledermaus». Parkettplätze sodann sind unbedingt in adäquater Bekleidung zu betreten, Anzug für den Herrn, auch wenn darunter ein Speckbauch hervorquellen sollte.

Da tut man gut, nicht allzu sehr nachzudenken, warum man nun einen solchen Anzug, als Frau ein Kleid, tragen sollte, wo doch die «Carmen» auf der Bühne in geradezu löchriger Kleidung von den Reizen und Gefahren der Liebe singt. Egal. Was die Gesangsqualitäten betrifft, unterscheiden sich Publikum und Sänger in der Regel. Was die Verkleidung betrifft, nicht. Denn in eine solche Verkleidung hüllen wir uns doch, wenn wir in die Oper gehen.

Besonders beliebt, auch da habe ich in Wien die bizarrsten Erfahrungen gemacht, sind die Kostüme und Accessoires der Damen, die sich thematisch dem Bühnenstoff annähern. Ägyptisierend mit Goldarmreif für die «Aida», à la böhmisches Bauernmädchen für Janáček, in chinesischer Seide für «Madame Butterfly». Das ist originell, das macht Freude. Männern bleibt da meist nur wenig Handlungsspielraum. Mit ihrer schwarz-uniformen Bekleidung treten sie hinter der bunten Damenwelt zurück, was nichts als Höflichkeit ist. Und wenn das Licht ausgeht, werden sowieso alle gleich, ob sie nun stehen oder sitzen, in Seide, Anzug oder im Pullover.

Erzähl doch keinen Quatsch. Sing ihn!

Ruben Drole als Chirurg (l.), Vincenzo La Scola als Alvaro und Leo Nucci als Don Carlo di Vargas (r.) in der Oper La Forza del Destino, Opernhaus Zürich 2005.
Legende: Der Chirurg (l.), Alvaro und Don Carlo di Vargas (r.) in «La Forza del Destino», Opernhaus Zürich 2005. Keystone

Nehmen wir Verdis «La forza del destino», die Macht des Schicksals. Aus der Pistole eines Inka-Prinzen löst sich versehentlich ein Schuss. Dieser trifft einen Mann, der zufälligerweise der Vater der Geliebten dieses Prinzen ist. Aus dieser zufälligen oder eben schicksalhaften Begebenheit entwickelt sich eine Story aus weiteren Zufällen, an fünf verschiedenen Schauplätzen mit teils grösseren Zeitspannen dazwischen. Eine Story, wie an den Haaren herbeigezogen.

Die Uraufführung in St. Petersburg, wofür Verdi mit seiner Frau, hundert Flaschen Bordeaux und kiloweise italienischer Pasta angereist war, floppte. Das Stück, von Verdi und seinen Librettisten danach leicht überarbeitet, hält sich dennoch im Repertoire. Bis heute. Warum? Muss wieder einmal die Musik dafür herhalten? Vielleicht. Die Ouvertüre mit ihrem, nun ja, Schicksalsmotiv ist ein Ohrwurm sondergleichen. Wie Verdi sodann dieses Motiv mit einer Kantilene, der späteren Arie «Le minacce e fieri accenti», kombiniert, ist schon sehr einnehmend. So, wie überhaupt diese Oper mit derjenigen Währung nicht geizt, mit der sich das Publikum am besten locken lässt: Arien, Arien, Arien. Ist «La Forza», sind Opern überhaupt mit ihren oft unwahrscheinlichen Libretti, demnach Orte schönen, aber sinnfreien Gesangs? Das nun auch wieder nicht. Hart aber ist die Bewährungsprobe, wenn sich der Librettist am Realen abarbeitet, wie oft bei Verdi.

Der Schwanenritter Lohengrin bei seiner Ankunft, gemalt von Theodor Pixis (1876).
Legende: Der Schwanenritter Lohengrin bei seiner Ankunft, gemalt von Theodor Pixis (1876). wikimedia

Einfacher hat es sich da Richard Wagner gemacht. Sein «Lohengrin» etwa: eine Geschichte aus dem fernen Mittelalter, ergo nicht mit heutigen Massstäben zu messen. Ausserdem tritt mit dem Schwanenritter Lohengrin ohnehin eine Figur auf, die durch ihre Herkunft aus der Sagenwelt frei handeln kann und singen, wie ihr der Schnabel gewachsen ist. Stören tut das niemanden. Denn Opern leben von Zufällen, vom Irrealen, Unwahrscheinlichen. Nur so schaffen sie die Verdichtung, die extreme Gefühlslagen und die entsprechende Musik begründen kann. Darin liegt gerade ihr Zauber.

Dem allerdings kann sich nur hingeben, wer Gesang und Musik, bisweilen auch die Inszenierung, nicht über die Kanäle seiner Ratio schleust, sondern sie direkt ins Kellergeschoss seiner Gefühlswelt vorlässt. Das macht Oper natürlich suspekt, denn denken hat noch niemandem geschadet. Sinnfrei ist Oper deshalb aber noch lange nicht. Im Gegenteil.

Wo sonst könnten wir einer Traumgestalt wie Lohengrin begegnen, wenn nicht auf der Bühne, beziehungsweise im unserem Kellerabteil «Traummann»? Wie sonst könnte sich die Grausamkeit des Lebens erklären lassen, nur unzulänglich getröstet vom Ausdruck höchster und schönster Gefühle, wenn uns Verdi nicht die Macht des Schicksals vor Augen und Ohren geführt hätte? So unwahrscheinlich, irreal das alles auch sein mag. Die Oper jedenfalls ist der richtige Ort dafür. Ein Ort, den wir in Sicherheit betreten und nach der Vorstellung meist auch so wieder verlassen. Dazwischen aber spielt sich alles andere ab. Alles.

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