«Wir wussten nicht, ob die Leute überhaupt noch auf uns warten», sagte Valeska Steiner, als sie im Juni mit Sonja Glass die neuen Songs erstmals live vor einem kleinen Zürcher Publikum spielte. Für die Schweizer Hälfte des Duos Boy ist Zürich «sowieso jedesmal ein Nervenzirkus».
Dabei hat sich die Farbe ihres Sounds nur unwesentlich verändert: es ist immer noch dieses gewinnende Gemisch aus Folk und Pop. Mit einer Nuance mehr Hochglanz. «We Were Here» ist die schillernde Schwester von «Mutual Friends», dem ersten Album.
Wenn die Welt ruft
Auf dem sepiafarbenen Coverbild von «Mutual Friends» sassen Boy damals locker am Boden vor einer Couch. Sonja Glass machte eine Kaugummiblase – vielleicht eine Momentaufnahme einer WG-Party. Das Album hatte den schmissigen Konsens-Hit «Little Numbers», der bald in jeder Loungebar von Zürich bis São Paulo lief – aber auch tolle Songs wie «Waitress» und «Drive Darling».
Boy sind erwachsen geworden. Die vergangenen vier Jahre seit dem unerwarteten Erfolg haben Valeska Steiner und Sonja Glass überall in der Welt verbracht. In den USA und in Japan. Mit jedem neuen Land, das dem Charme von «Little Numbers» verfiel, wurde die Tour länger und länger.
Städtische Nachtstimmung ziert nun das Cover des aktuellen Albums. Die zwei stehen auf einer Strasse. Lichter funkeln farbig, darüber der rote Schriftzug «We Were Here», wie mit einem Lippenstift nach einer Liebesnacht auf einen Badzimmerspiegel gezogen.
Die Spuren unseres Daseins
Der Titelsong «We Were Here», der das Album eröffnet, legt gleich eine hymnische Popnote vor. Valeska Steiner erzählt von den Spuren, die wir hinterlassen, im Unterwegssein, in Beziehungen. Sich versichern, ja, es hat uns gegeben, ja, es war wirklich Liebe.
«Hit My Heart» hat den vorwärtstreibenden lebensbejahenden Groove, am ehesten ein Nachfolger von «Little Numbers». Ansonsten dominiert die elegante Melancholie. «Into the Wild» erzählt, was einem widerfährt, wenn man sich ins wilde Ungewisse stürzt. «Hotel» ist eine poetische Miniatur, Schlaglichter auf menschliche Existenzen am Ort, der immer nur Heimat auf Zeit ist. Ein Thema, das beiden vom Tourleben bestens bekannt ist.
Ein Album der grossen Gefühle
Valeska Steiner und Sonja Glass sind das, was man «a perfect couple» nennt, sie scheinen wie für einander geschaffen. Valeska Steiner schreibt die Texte, und sie hat diese einprägsame warme Stimme, die einen nicht mehr loslässt. Sonja Glass steuert die Kompositionen bei. Zusammen feilen sie an den Songs, bis beide zufrieden sind.
Offenbar hat ihnen Herbert Grönemeyer, der Chef ihres Labels Grönland, Zeit gelassen. Irgendwann, als sie beim Schreiben des neuen Albums ins Stocken gerieten, kam die Idee, ins New Yorker Nachtleben zu entfliehen, erzählt Valeska Steiner. Es blieb aber bei der Idee. Manchmal reicht es, sich am eigenen Ort ins pralle Leben zu stürzen. Ob Hamburg oder Zürich. Der Song «New York» beschreibt dieses Lebensgefühl.
Songs von «We Were Here» bei YouTube
Das Album «We Were Here» breitet sich in einem wohligen Guss aus. Da fällt aber auch kaum mehr ein Stück aus dem Rahmen. Eine Überraschung, wie die schwerblütige Bluesnummer «Boris» mit Westerntouch vom Vorgängeralbum, findet sich hier nicht. Aber Boy haben ihr Profil geschärft und setzen an zur (Rück)eroberung des Publikums.