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Pet Shop Boys: Alles ausser Langeweile
Aus Kontext vom 10.07.2019. Bild: Keystone / YOSHIKO KUSANO
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Das Werk der Pet Shop Boys Eine Schwulenhymne im Fussballstadion

Mit prägnanter Parole zum Pop-Phänomen: Ein Buch beleuchtet das Werk des britischen Electropop-Duos Pet Shop Boys.

Bands von erwachsenen Männern, die «Boys» im Namen tragen, werden leicht unterschätzt. Beach Boys, Beastie Boys, Pet Shop Boys, die Backstreet Boys lassen wir mal aussen vor.

Bei allen Unterschieden verbindet diese Boys eine Parole, die Neil Tennant, die sprechende Hälfte der Pet Shop Boys, in die Welt gesetzt hat: «Depth through surface», Tiefe durch Oberfläche.

Pop feiert Oberflächenreize: Surfen an der Westküste unter kalifornischer Sonne, Sneakers und das Recht Party, eine Reise nach San Francisco, wo man bei bestem Wetter sein kann, wie man will.

Hit in Schwulenclubs

Tiefe durch Oberfläche gewinnt der letzte Satz, wenn man ihm zwei Buchstaben hinzufügt: Eine Reise nach San Francisco, wo mann bei bestem Wetter sein kann, wie mann will. Davon handelt «Go West», 1979 im Original der Zirkuscombo Village People ein kleiner Hit in Schwulenclubs.

Der Song bejubelt den Treck nach San Francisco, zum Sehnsuchtsort von Leuten, die sich nicht der Heteronorm unterwerfen wollen oder können. Ein schwules Utopia an der liberalen Westküste mit nächtlichen Freiräumen, der Club als temporär befreite Zone.

Zwei Männer schauen in zwei verschiedene Richtungen.
Legende: Eine der erfolgreichsten Bands der Pop-Geschichte: Die Pet Shop Boys mit Sänger Neil Tennant (l.) und Keyboarder Chris Lowe (r.). imago images / Andreas Weihs

Aber das schwule Glücksversprechen schlägt bald ins Gegenteil um, in den frühen Achtzigern, mit der AIDS-Epidemie, die einen homophoben Backlash auslöst: Als «Schwulenkrebs» wird die Krankheit dämonisiert und als «Rache Gottes».

Folglich hat «Go West!» eine andere Bedeutung als die Pet Shop Boys 1992 ihre Coverversion produzieren, als Abgesang auf eine schwule Utopie, die zur Dystopie wird.

Schwulenhymne im Fussballstadion

Mit «Go West» landen die Pet Shop Boys einen Welthit, auf den sich heute auch die maximal verfeindeten Fanlager des deutschen Profifussballs (nicht) einigen können: «Olé, hier kommt der BVB» singen die Dortmunder, «Steht auf, wenn ihr Schalker seid», heisst es im benachbarten Gelsenkirchen, die Melodie bleibt dieselbe.

Es sei die grösste Errungenschaft der Pet Shop Boys, eine Schwulenhymne in die Fussballstadien gebracht zu haben, in eine Heterowelt, die noch auf den ersten Profi wartet, der sich zu seiner aktiven Zeit outet. Sagt Chris Lowe, gelernter Architekt und Beatbauer der Pet Shop Boys.

Grosse Songs, dramatischer Ursprung

Die Pet Shop Boys sind eine der erfolgreichsten Bands der Pop-Geschichte. «West End girls», «It’s a sin», oder «Go West», die Liste ihrer Hits ist lang. Aber viele dieser Hits haben einen doppelten Boden. Hinter catchy Refrains lauern Tragödien, Komödien, Tragikomödien. Und Gesellschaftsbilder.

Die Pet Shop Boys auf einer schrillen Bühne: der Hintergrund leuchtet türkis, rosa und grün.
Legende: Grelle Neonfarben und wuchtige Beats: Die Pet Shop Boys 2018 in Benicàssim, Spanien. imago images / ZUMA Press

Gesellschaftsbilder – so nennt Jan Niklas Jäger die Songs der Pet Shop Boys in seinem Buch: «Factually – Pet Shop Boys in Theorie und Praxis». Jäger ist Jahrgang 1988, er hat Online-Journalismus, Amerikanistik und Philosophie studiert und nähert sich seinem Objekt als Fan mit ausgeprägter Pop-Sensibilität.

Buchhinweis

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Jan-Niklas Jäger: «Factually: Pet Shop Boys in Theorie und Praxis», 2019, Ventil Verlag.

Für Jäger sind die Pet Shop Boys «Vertreter einer Gegenkultur im Massenmarkt», der Beleg dafür, «dass kommerzieller Erfolg und ein subversives Pop-Verständnis sich nicht ausschliessen müssen.»

So erzählt Jan Niklas Jäger mit den Songs der Pet Shop Boys seine Geschichte(n) der vergangenen vierzig Jahre: Thatcher, Kohl und Reagan, House & Techno als queeres Utopia, Cool Britannia, Britpop und neoliberale Ernüchterung Backlash und vor allem: Nie mehr Langeweile – we were never being boring.

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