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Schweizer Pionierin Eine Schweizerin war die erste Chefdirigentin in Deutschland

Schweizer Orchester hätten mit Sylvia Caduff als Chefdirigentin eine Vorreiterrolle übernehmen können. Hier war die Zeit noch nicht reif dafür: Caduff machte im Ausland Karriere.

Sylvia Caduff lässt sich von Autoritäten der Zunft ausbilden: Nach dem Klavier- und Theoriestudium in Luzern lernt sie in den 1960er-Jahren unter anderem bei Herbert von Karajan in Berlin und bei Leonard Bernstein in New York. Ausserdem gewinnt sie in dieser Zeit im Big Apple den bedeutenden internationalen Dirigierwettbewerb «Dimitri Mitropoulos».

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Radio Orchester Beromünster, Leitung Sylvia Caduff: Aus Tschaikovskys 6. Sinfonie.
04:23 min
abspielen. Laufzeit 4 Minuten 23 Sekunden.

Als sie danach nach Europa zurückkehrt bietet man ihr hier jedoch keinen Chefdirigentinnen-Posten an bei einem Orchester. Anders als einigen ihrer männlichen Kollegen mit ähnlichem Palmarès, wie etwa dem nur wenige Jahre älteren Claudio Abbado, der unter anderem an die Mailänder Scala berufen wird.

Kompetenz genügte in der Schweiz nicht

Gerade in ihrem Heimatland Schweiz wird die so hoch talentierte wie zielstrebige, aber auch bescheidene Bündnerin nicht mit Pauken und Trompeten empfangen. Vorerst werden ihr lediglich kleinere Gastdirigate anvertraut. Daneben übernimmt sie eine Dirigierklasse am Konservatorium Bern. In London hingegen dirigiert sie bald schon das Royal Philharmonic Orchestra.

Eine kompetente Frau als Chefdirigentin, das ist in einer Zeit, in welcher in der Schweiz Frauen noch nicht einmal ein Wahlrecht haben, offenbar nicht denkbar. Und es ist erschreckend, dass sich daran in den letzten 50 Jahren kaum etwas geändert hat. Auch in Deutschland sind gemäss einer aktuellen Studie nach wie vor nur verschwindend wenige Chefposten am Dirigentenpult von Frauen besetzt (weit unter fünf Prozent). Aber die allererste Chefdirigentin eines deutschen, städtischen Orchesters war Sylvia Caduff.

Situation in der Schweiz

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Die erste Chefdirigentin in der Schweiz war 1998 die Britin Julia Jones am Theater Basel. Momentan jedoch ist – trotz kürzlicher Chefdirigentenwechsel und genügend kompetenter Anwärterinnen – keine der Chefinnenposten bei grossen Schweizer Orchestern mit Frauen besetzt.

Bloss nicht zu modern

Ab 1977 leitet sie während acht Saisons als Generalmusikdirektorin die Geschicke des städtischen Orchesters in Solingen bei Köln. Sie konzipiert das gesamte Saisonprogramm, lädt Solistinnen und Solisten ein und dirigiert zehn grosse sinfonische Konzertprogramme pro Jahr.

Ausserdem leitet sie Serenaden, Familienkonzerte und alles was dazu gehört. In der Repertoirewahl ist sie dabei ziemlich frei – bloss allzu modern darf es für das damalige Solinger Publikum nicht sein. Bei der Musik von Béla Bartók oder Igor Strawinsky ist die Toleranzgrenze erreicht.

Enorme Arbeitsbelastung

Dafür kann sie sich in ihren Dirigaten ausgiebig einer ihrer grössten Herzensangelegenheiten widmen, den grossen sinfonischen Werken der Romantik. Unter anderem sämtliche Sinfonien von Johannes Brahms und Robert Schumann erarbeitet sie in dieser Zeit mit dem damaligen, mittelgrossen Solinger Orchester, sowie mehrere Sinfonien von Anton Bruckner und Gustav Mahler. Aber auch im klassischen Repertoire setzt Sylvia Caduff einen Schwerpunkt, sie dirigiert sämtliche Sinfonien, Instrumentalkonzerte sowie die Missa solemnis von Ludwig van Beethoven.

Sparmassnahmen der Stadt Solingen führen dazu, dass sie immer weniger Gastdirigenten einladen kann und schliesslich sämtliche Programme selber übernimmt. Sie dirigiert somit im Durchschnitt etwa alle zwei Wochen ein neues Programm. Die enorme musikalische und organisatorische Arbeitsbelastung führen dazu, dass sie 1986 das Orchester verlässt.

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Orchestra della svizzera italiana, Leitung Sylvia Caduff: Gion Antoni Derungs' Oper Il semiader, 2.Akt.
03:21 min
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Rückständige Schweiz

Sie erhält zwar erneut Angebote für Chefposten, lehnt diese aber ab, da die betreffenden Orchester ihren qualitativen Ansprüchen nicht genügen und sie nicht noch einmal Aufbau-Arbeit leisten möchte. Schade, dass die Schweiz damals nicht so fortschrittlich war wie Deutschland, denn auch hierzulande hätte Sylvia Caduff als erste Chefdirigentin Geschichte schreiben können.

So konzertiert sie weiter als Gastdirigentin in Südafrika, Fernost, und auf weiteren Bühnen in ganz Europa. In ihrer Karriere hat sie unter anderem so renommierte Orchester wie dasjenige des Bayerischen Rundfunks, das Gürzenich-Orchester Köln, das New York Philharmonic oder die Berliner Philharmoniker dirigiert.

Sendung: «Passage», 6.1.2017, 20:00 Uhr, Radio SRF 2 Kultur

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