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Musik Einmal Vinyl, immer Vinyl: Englands ältester Plattenladen

Seit Jahren sterben Plattenläden wie die Fliegen. Nicht so «The Diskery» in Birmingham: Dieser Plattenladen hält sich seit über 60 Jahren. Zum «Record Store Day» verrät Manager Jimmy Shannon sein Erfolgsgeheimnis – aber nicht, bevor er eine Tasse Tee serviert hat.

Eine Tasse Tee gehört in Englands ältestem Plattengeschäft «The Diskery» einfach zum guten Ton. Diese kleine Willkommens-Geste sorgt für ein gutes Gefühl beim Plattenstöbern. Ganz der englischen Tradition verpflichtet, fragt Manager Jimmy Shannon jeden Kunden, welche Mischung es denn sein dürfe. Seine Frau wirft ihm vor, dass sein Tee-Service lediglich zum Kundenfang diene. Der Manager aber weist dies entrüstet als Unterstellung zurück. Als Kunde würde er sich doch auch über eine Tasse freuen.

Die Vinyl-Branche war gelähmt

Video
Kurzfilm über «The Diskery» von Sam Coley (englisch)
Aus Kultur Extras vom 19.04.2014.
abspielen. Laufzeit 3 Minuten 29 Sekunden.

Dass Shannon überhaupt noch Tee servieren kann in seinem Plattenladen, ist nicht selbstverständlich. Jahrelang blickte die gesamte Branche wie gelähmt in den Abgrund. Die Vinyl-Verkäufe brachen ein. Die CD und später das Internet drohten, den Dinosaurier unter den Tonträgern aussterben zu lassen.

Alleine in Grossbritannien waren von den über 2200 unabhängigen Plattengeschäften der 1980er-Jahre gerade einmal 269 übrig. Diese Zählung stammt aus dem Jahr 2009. Damals besuchte der Autor Graham Jones die übrig gebliebenen Läden für sein Buch «Last Shop Standing: Whatever Happened To Record Shops?».

Vinyl-Revival in jüngster Zeit

«The Diskery» gehörte zu dieser scheinbar aussterbenden Spezies. Mittlerweile hat sich die Lage entspannt. Man kauft wieder Vinyl. Ob als schickes Lifestyle-Accessoire oder tatsächlich wegen des besseren Klanges, sei dahin gestellt. Seit einigen Jahren jedenfalls kündigt sich der Vinyl-Boom in der Musikindustrie an. Der Sektor legt jährlich im zweistelligen Prozent-Bereich zu. 2013 betrug das Plus gar 27 Prozent. Davon profitiert auch «The Diskery».

Allerdings: Shannon und sein Mitarbeiter Jimmy Scully verschwenden an kurzlebige Trends keine Zeit. Hip sein ist etwas für jüngere. «The Diskery» – das ist für sie und ihre Kunden ein Ort des Zusammenseins. Fernab von Hypes und Wachstumsraten.

Oase im hektischen Alltag

Überhaupt scheint die persönliche Note das Geheimnis der Langlebigkeit des Ladens zu sein. Musikhören ist intim. Sich darüber austauschen zu können, ist das höchste Gut der kleinen Plattengeschäfte. Musse, Zeit zum Stöbern und das bewusste Hören von Platten – das alles steckt hinter dem Trend zu Vinyl.

Jimmy Shannon und sein Tee stillen diese Sehnsucht nach Langsamkeit. The Diskery ist also nicht nur Schatztruhe für Vinyl-Freaks sondern auch eine Oase inmitten der Hektik des modernen Alltags.

Einmal nur verstummte die Musik in der Bromsgrove Street 99. An jenem Samstag im Januar 2012 blieben erstmals in der über 60-jährigen Geschichte die Türen verschlossen. Kein Tee wurde aufgesetzt, keine Nadel legte sich knisternd in die Rillen einer alten Platte. Birmingham verabschiedete sich von Morris Hunting, dem legendären Gründer von «The Diskery». Seitdem führt Jimmy Shannon das Geschäft, in dem er seit fast 50 Jahren arbeitet.

Väter fordern ihre Sammlungen zurück

«The Diskery» ist wie eine schon etwas verbeulte Schatzkiste. Ihr Inhalt hat aber nichts von seiner Anziehungskraft eingebüsst, im Gegenteil. Nicht nur die Jungen suchen heute nach Vinyl-Pressungen. Manche Väter, die noch vor ein paar Jahren den Plattenspieler entsorgt und ihre LPs an die Söhne vererbt haben, haben ihre Sammlungen wieder zurückgefordert und setzen sie fort.

Über den alljährlichen Record Store Day freut sich Shannon. Aber deswegen gleich eine Renaissance auszurufen – das geht dem Engländer zu weit. Vinyl war doch nie weg. Zumindest nicht in «The Diskery».

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