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Musik Kapverdische Weltmusik: barfüssig nach oben

Cesária Évora besang die Heimatlosigkeit und Sehnsucht der Inselbewohner, war politisch, solidarisch und eigenständig. Sie setzte so die Musikrichtung Morna auf die musikalische Weltkarte und blieb unvergessen.

Auf der Bühne stand sie passiv da. Fast ein wenig gelangweilt. Da konnte man schon auf die Idee kommen, dass die sogenannte Weltmusik nur ein Konstrukt ist, nichts als eine Produzenten-Idee. Und dass die Diva auf der Bühne die Show dazu macht, einfach weil es irgendwie sein muss.

Doch der erste Eindruck täuscht. Cesária Évora war kein Produkt. Sie hat nicht einfach nur die kapverdische Morna in die Welt hinausgetragen. Die 2011 verstorbene Sängerin ist ein Monument in den Kapverden. Sie steht für die kapverdischen Inseln in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit, die – nur schon das – überhaupt nicht grün sind.

Heimatlose auf den Inseln

Lange Zeit waren sie vor allem ein Unort, die Kapverden. Eine indigene Bevölkerung gab es nie. Von Anfang an waren die Inseln vor der westafrikanischen Küste nur eine Zwischenstation im Sklavenhandel. Ein Umschlagplatz. In der Zeit der portugiesischen Diktatur berühmt vor allem für ein berüchtigtes Gefängnis.

Wer sich auf den Inseln niederliess, musste sich eine neue Heimat erschaffen: die portugiesischen Händler und Schergen, die mehr oder weniger freiwillig dort landeten. Und alle andern, die sich unfreiwillig dort wiederfanden, erst recht.

Sehnsüchtiges Verlangen

In der Musik von Cesária Évora geht es häufig um das Gefühl der Trennung, um ein Heimweh nach dem Geliebten, nach der Familie. Saudade heisst dieses komplexe Gefühl der Sehnsucht auf Portugiesisch, im kapverdischen Kreolisch: Sodade.

Das Lied mit diesem Titel wurde anfangs der 1990er-Jahre zur Erkennungsmelodie von Cesária Évora. Schon möglich, dass es in Europa ein Bedürfnis nach einer Alternative zum anglo-amerikanischen Pop erfüllte. Ein Bedürfnis nach einer ursprünglichen Form von Musik. Nach einem Sehnsuchtsort weit weg vom Büro-Alltag.

Politisch, solidarisch, eigenständig

Aber die Musik von Cesária Évora ist mehr als Sehnsuchtsmusik. Schon die Tatsache, dass sie auf Kreolisch sang, war eine Botschaft der Eigenständigkeit. Ihre Zusammenarbeit mit Künstlern der Unabhängigkeitsbewegung ein politisches Statement.

Das Barfuss-Singen war nicht einfach eine Masche, sondern eine Solidaritätsbekundung mit den Ärmsten. Schon als Teenager, noch vor ihrer zweiten grossen Karriere in Europa, sang Cesária Évora barfuss. In Erinnerung auch an das Kinderheim, wo sie einen grossen Teil ihrer Jugend verbracht hatte.

Kleines Imperium einer grossen Frau

Am grossen Erfolg ab Mitte der 1990er-Jahre bedauerte sie nur, dass er erst so spät kam. Denn mit dem Geld bewirkte sie tatsächlich etwas. Ihr Verein Cize unterstützte junge Künstlerinnen und Künstler von den Inseln, und ihr Geld floss auch in andere Förderprojekte.

Die Königin der Morna? Die war sie vor allem im Ausland. Zu Hause war sie mehr als das. Sie hatte ihr eigenes kleines Imperium. Mit ihrer Musik konnte sie ihr eigenes Leben, das sie zum allergrössten Teil in Armut verbracht hatte, erträglich gestalten.

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