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Zwei neue Bücher beleuchten 1000 Jahre Musikgeschichte
Aus Kultur-Aktualität vom 10.12.2020.
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Inhalt

Sozialgeschichte der Musik 5 Musikgeschichten, die Sie so noch nie gehört haben

Martin Luther war der erste Singer-Songwriter? Sie verstehen nur Bahnhof, wenn jemand «Eisenbahnmusik» sagt? Der neue, 1400-seitige Sammelband «Musik und Gesellschaft» beleuchtet die wichtigsten Stationen der letzten 1000 Jahre Musikgeschichte aus ungewohnter, oft überraschend aktueller Perspektive. Fünf Highlights - in chronologischer Reihenfolge.

1529: Martin Luther wird zum Singer-Songwriter

ein Mann in alten Kleidern hämmert ein Blatt an eine Wand
Legende: Martin Luther hat nicht nur die Bibel ins Deutsche übersetzt, sondern auch einen Choral geschrieben, der bis heute bekannt ist. Ferdinand Pauwels / Wikimedia

«Ein feste Burg ist unser Gott» – noch heute kennt fast jeder diesen Choral, sei es die Melodie oder die Anfangszeilen. Ein Hit, der 500 Jahre alt ist.

Um das Jahr 1520 kämpft Martin Luther für die Reformation der Kirche. Mit den modernsten Mitteln: dem Buchdruck. Nur können viele Leute gar nicht lesen. Wie also die Botschaft unters Volk bringen?

Mit einem Choral, einer einfachen Melodie, die man sich gut merken kann. Luthers Hoffnung ist dabei die Jugend. Was er tue, tue er «umb des iüngen Volcks willen». Für die Jungen müsse man «schreiben und tichten». Luther tut beides und wird zum ersten Singer-Songwriter seiner Generation.

1733: Tafelmusik im barocken Hamburg

Schon die Sumerer liessen sich gerne beschallen während des Essens – wie wir heute auch. «Tafelmusik» ist allgegenwärtig, in jedem Restaurant, in jeder Bar. Als der Hamburger Komponist Georg Philipp Telemann seine «Musique de Table» schreibt, bildet sich gerade ein Gegensatz heraus.

Buchhinweis

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Frieder Reininghaus, Judith Kemp, Alexandra Ziane (Hrsg.):

«Musik und Gesellschaft. Markplätze, Kampfzonen, Elysium», Königshausen und Neumann, 2020.

Musik, die eine Funktion hat – in der Kirche, zur Arbeit oder als Kulisse für ein pompöses Essen – und Musik, der man «nur» zuhören soll, autonome, also selbstständige Musik. Zu dieser zählen später Beethovens Sinfonien und das Gros überhaupt der klassischen Musik.

Dass sich eine solche autonome Musik herausbilden konnte, hat also indirekt mit der Lust zu tun, einen Fasan zu verspeisen und dabei einem barocken Orchester zuzuhören.

1845: Eisenbahnmusik

eine schwarz-weiss Zeichnung einer Eisenbahn
Legende: Die Eisenbahn wurde so häufig in musikalische Werke übersetzt wie kein anderes Verkehrsmittel. Getty Images / Science & Society Picture Library

Einer wollte nie mehr Eisenbahn fahren: Gioachino Rossini. Weil dem italienischen Komponisten bei einer Fahrt nach Brüssel schlecht wurde, zog er fortan Kutschenfahrten fürs Reisen vor.

Andere Künstler waren begeistert. 120 Stundenkilometer! Johann Strauss schrieb einen «Eisenbahn-Lust-Walzer». Hector Berlioz war vom Zug, den «Chemins de fer», fasziniert und komponierte eine Kantate zur Eröffnung der Eisenbahnstrecke Paris-Lille. Feine Musikerohren nahmen auch die Rhythmen und spezifischen Geräusche der Bahn auf. Und schrieben Musik, die nach Eisenbahn tönen sollte.

Berühmtestes Beispiel: Arthur Honegger verewigte mit «Pacific 231» die gleichnamige Dampflokomotive in einem sinfonischen Werk.

1951: Wagner-Enkel Wieland entrümpelt Bayreuth

Richard Wagner hat nicht nur den «Ring des Nibelungen» und weitere wunderbare Opern komponiert. Er war auch Antisemit. Die von ihm 1876 gegründeten Bayreuther Festspiele wurden im Zweiten Weltkrieg zu einer Nazi-Hochburg.

Federhelm und Deutsche Eiche, das gefiel den Nazis. Bayreuth musste nach Kriegsende neu anfangen und dafür steht Wieland Wagner. Er entrümpelt die Bühne von aller Deutschtümelei. Licht und Leere waren fortan angesagt. Ein Schock für die konservative Wagner-Gemeinde.

Eine Anekdote besagt, dass der Dirigent dieser ersten «Neu-Bayreuther» Aufführungen, Hans Knappertsbusch, während der Proben meinte, die Bühnenbilder würden ja wohl noch kommen. Taten sie nicht, doch die Wagner-Festspiele wurden fortgesetzt. Bis heute.

2006: YouTube wird gegründet

ein Handy mit einem YouTube-Logo und Kopfhörern
Legende: Streamen und schauen statt hören: YouTube bestimmt unseren heutigen Musik-Konsum. Getty Images / Anadolu Agency

Wohl kaum ein Medium hat unsere Gesellschaft so sehr verändert wie das Internet. Auch unseren Musik-Konsum. Hörte man Musik zunächst einzig, wenn sie auch tatsächlich von jemandem gespielt wurde, so haben Grammophon und Radio das Konzert in die Stube gebracht.

Heute besuchen täglich 700'000 Nutzer die Videoplattform YouTube. 95 Prozent der gestreamten Inhalte sind Musikvideos. Musik hören war gestern – heute sieht man Musik.

Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur Aktuell, 10.12.2020, 08:15 Uhr

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